Susan Price
und aß einen Apfel. Sie hob ein Bündel auf und warf es ihm zu. Es war ein lederner Umhang mit Kapuze, der um einen Beutel mit Brot und kaltem Fleisch gewickelt war. »Du schläfst hier draußen. Die Halle gehört mir.«
Elfling lächelte. »Und wann darf ich in der Halle schlafen, edle Frau?«
»Wenn du mit Schild und Stab so kämpfen kannst, dass du deinen Platz behauptest«, antwortete sie. »Morgen werden wir sehen, ob du das kannst.«
Elfling machte sich ein Feuer auf einem ebenen Platz vor der Halle, setzte sich daneben und verzehrte sein Brot und Fleisch. Danach wickelte er sich in den Lederumhang und schlief. Am nächsten Tag wachte er auf, noch ehe es hell war. Jarnseaxa war ebenfalls schon wach. Sie kam aus ihrer Halle und warf ihm einen leichten Schild aus Holz und einen langen, dicken Holzstock hin.
»Iss erst«, forderte sie ihn auf. »Dann sehen wir, wozu du fähig bist.«
Als sie sich später gegenüberstanden, sah er, dass sie keinen Schild hatte, nur einen Stab. Sie trug keine Brünne, auch keinen Helm, nur eine Tunika, Beinkleider und weiche Stiefel. Sie war zwar so groß wie er und für eine Frau breitschultrig und kräftig, aber sie war schlank wie ein Junge – und außerdem eine Frau. Als er ihr wunderschönes Gesicht sah und das lange rote Haar, das über eine Schulter fiel, ließ er die Arme sinken, und Schild und Stab entglitten ihm.
»Edle Frau, ich will Euch nicht wehtun«, sagte er.
»Du wirst mich nicht verletzen«, entgegnete sie. »Und jetzt pass auf!«
Er nahm den Schild und beabsichtigte, den Schlag seitlich abzuwehren, doch sie schlug mit solcher Kraft zu, dass er nach hinten taumelte und zu Boden ging. Während er dalag, schlug sie ihn mit dem Stab so kräftig, dass die Schläge im Wald zu hören waren und die Vögel aufschreckten, sodass diese aufgeregt flatternd und laut kreischend davonflogen.
»So«, sagte sie, stützte sich auf ihren Stab und schaute amüsiert zu, als er sich unter seinem Schild versteckte und die Beulen befühlte. »Unterschätze niemals einen Gegner. Und jetzt los, aufstehen!«
Er erhob sich, und sie griff wieder an. Diesmal gab er sich Mühe, sich zu schützen, aber wenn er den Schild hochhielt, um einen Hieb von oben zu parieren, schlug sie ihm stattdessen unten die Beine weg. Oder sie wechselte den Schlag und traf seine Rippen auf der ungeschützten Seite.
»Langsam!«, rief sie. »Langsam!«
Sie machte ihn so wütend, dass er seinen Schild wegschleuderte und versuchte, sie mit seinem Stab zu bekämpfen, um ihr die Schmerzen zurückzuzahlen, welche sie ihm zugefügt hatte. Doch sie tänzelte aus seiner Reichweite, lachte und betäubte seinen Arm und sein Bein mit Schlägen. Als er zu Boden fiel, versetzte sie ihm noch einen kräftigen Hieb über die Schultern. Dann reichte sie ihm die Hand, um ihm auf die Beine zu helfen. »Tut mir leid«, sagte sie. »Aber du musst kämpfen. Deine Schicksalsfäden haben es so für dich gewebt. Und in den für dich bestimmten Kämpfen hast du keine Stäbe, sondern scharfe Klingen. Du musst noch viel lernen, aber du wirst es schaffen.«
Sie ging in die Halle und holte einen Behälter mit einer Salbe, mit der sie ihm den Rücken und die Seiten einrieb. Dabei erklärte sie ihm, dass dieses Mittel die Blutergüsse lindern würde – was es auch tat. Die Blutergüsse, die am nächsten Tag blau gewesen wären und bei jeder Bewegung geschmerzt hätten, waren nur hellgelb.
Jeden Tag musste Elfling über die Waldpfade rennen und mit Schild und Stab üben. Jarnseaxa ließ ihn immer wieder üben, ihre Schläge mit dem Stab und mit dem Schild abzuwehren. Selbst nachts weckte sie ihn und ließ ihn im Mondenschein üben, wenn er schlaftrunken war. Sie setzte ihm so lange zu, bis sie keinen Schlag an seinem Schild vorbei landen konnte, ganz gleich, wie sehr sie sich bemühte.
»Jetzt darf ich in der Halle schlafen!«, rief er – und sie schlug ihm blitzschnell die Beine weg.
»Noch nicht.« Dann übte sie mit ihm, über die Hiebe, welche auf seine Beine zielten, hinwegzuspringen und alle zu parieren, wenn er auf festem Boden stand. Tage vergingen und abermals viele Tage – und endlich kam der Tag, an dem es ihr nicht mehr gelang, einen Hieb bei ihm zu landen und ihn zu Fall zu bringen. Zum ersten Mal zwang er sie in die Knie. Sie warf Schild und Stab von sich und hob die Arme, um ihre Niederlage anzuzeigen. Dann rief sie: »Heute Abend kannst du in der Halle schlafen!«
Während dieser vielen Tage der Ausbildung waren
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