Susan Price
widerhallte. Er kam zu einem Mann mit einer Bauchwunde. Einen Augenblick lang schaute er auf ihn hinab, dann setzte er die Schwertspitze an dessen Kehle und stieß zu – ein Akt der Menschenliebe. Er schritt weiter und kam zu Wulfweard.
Der Junge lag halb unter einem Toten, der auf ihn gefallen war. Auf Elflings Nicken hin kamen zwei seiner Männer, die ihm auf dem Hügel gefolgt waren und alles fasziniert bestaunt hatten, und zerrten den Toten beiseite. Elfling bückte sich über seinen Halbbruder.
Der Schild des Jungen war zerbrochen und hatte ihn schutzlos gemacht. Das Schwert, das er noch in der Hand hielt, hatte eine Klinge mit vielen Scharten. Blut quoll unter der goldenen Helmmaske hervor. Wulfweard blutete aus Wunden in der Brust und am Arm, wo sein Kettenhemd aus dicken Eisengliedern wie Leinen durchschnitten war. Nur ein Schwert in diesem Kampf konnte solche Wunden beibringen, aber Elfling erinnerte sich nicht, im Kampf die goldene Maske vor sich gesehen zu haben. Er erinnerte sich nicht, den Schild gespalten zu haben oder das Schwert des Jungen niedergeschlagen zu haben. Aber eigentlich erinnerte er sich nur wenig an den Kampf, abgesehen davon, dass Wodens Versprechen seinen Arm geführt hatte, und von der Begeisterung über seine Schnelligkeit und seine Kraft, die ihn antrieben.
Behutsam hob Elfling den Kopf Wulfweards und nahm ihm den Helm ab. Unter der goldenen Maske erschien sein eigenes Gesicht, aber jünger und schwächer und jetzt mit Blut beschmiert. Die Augen waren halb offen, und die Lider flackerten. Atem drang aus dem Mund. Noch lebte Wulfweard, allerdings nicht mehr lange.
Elfling war müde und schreckte vor der Mühsal einer Heilung zurück. Er legte den schweren Kopf wieder auf die Erde und stand auf. Der Junge starb. Sollte er doch sterben. Sein Geist war schon so weit entfernt, dass er still in den Tod gehen würde, ohne Schmerzen und ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen … Und auf einem Hügel, der von so vielen toten und blutenden Körpern entstellt war, war ein weiterer toter Junge keinen Gedanken oder eine Bemerkung wert.
Elfling ging weiter. Seine faszinierten Anhänger folgten ihm auf den Fersen. Wulfweard war zwar nicht auf Elflings Hof gewesen und hatte an dem Massaker dort nicht mitgewirkt – aber er war ein Blutsverwandter derer, die es getan hatten, und das machte es gerecht, sein Leben als Bezahlung für die Blutschuld zu nehmen. Außerdem – Elfling schüttelte den Kopf, und die Heldenzöpfe schlugen gegen sein Gesicht – hatte der Junge seine Seite verlassen, um für seinen Bruder Unwin zu kämpfen. Mochte er in Unwins Diensten sterben.
Elfling machte kehrt und bahnte sich einen Weg durch die, welche ihm so dicht folgten. Er ging zurück zu Wulfweard und kniete neben dem Jungen nieder. Er warf Wodens Versprechen beiseite und drückte seine Hände kräftig auf Wulfweards Brust. Er holte tief Luft, schloss die Augen und bemühte sich, ruhig zu werden und den Ruhepunkt in seinem Kopf zu finden, von dem seine Kraft ausging. Unter seinen Händen war kaum Bewegung zu spüren, kaum Atmen, aber das Herz schlug schnell, wenngleich schwach. Elfling schien es nicht nur zu fühlen, sondern auch zu hören: Der Puls schien in seinem eigenen Körper zu schlagen. Er nahm seinen eigenen Atemrhythmus und verlangsamte diesen; dabei lauschte er auf sein eigenes Herz und den Pulsschlag in den Ohren. Er biss die Zähne zusammen, setzte seine gesamte Willenskraft ein und konzentrierte sie wie einen Hammerschlag: So, wie ich will, so muss es sein! Kraft seines Willens schloss sich das offene Fleisch und versiegelte den Blutstrom. Mittels seines Willens flößte er Wulfweard die Kraft ein, von seiner Kraft zu nehmen. Mit seinem eigenen Herzschlag rief er den wandernden Geist zurück. Seine Hände glühten wie an einem kalten Wintertag: Die Hitze stieg ihm in den Kopf, dass ihm schwindlig wurde.
Männer sammelten sich um ihn und sahen, wie sein Haar sich aufstellte und Funken sprühte. Sie spürten die Hitze, die von ihm ausging, und wichen voll Furcht zurück.
Elfling blieb neben Wulfweard knien und presste die Hände auf dessen Brust, bis er spürte, das seine Kraft nachließ. Ihm war übel, und eine große Kälte lief durch seinen ganzen Körper. Er hob die Hände von Wulfweard und sank zur Seite. Er konnte sich gerade noch mit den Armen abstützen, sonst hätte er flach auf dem Boden gelegen. Langsam und mühsam hob er den Kopf, als jemand ihn am Arm berührte. Er schaute durch sein
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