Susan Price
wirres Haar nach oben. Athelric stand neben ihm und hielt seinen Helm in der Armbeuge. Er betrachtete Elfling wie verzückt voll Staunen.
Völlig erschöpft blickte Elfling von ihm zu Wulfweard. Es war ihm nicht gelungen, die Wunden vollständig zu schließen, aber die Blutung hatte aufgehört, und der Junge atmete kräftiger. »Tragt ihn fort«, sagte Elfling zu wem auch immer in seiner Nähe; er schaute nicht hin. Er besaß kaum die Kraft zu sprechen. »Vorsichtig. Kümmert euch um ihn.«
Mehrere Männer kamen und hoben Wulfweard auf ihre Arme. Elfling schaute ihnen nach, als sie ihre Last vorsichtig und mit unsicheren Schritten davontrugen. Er spürte immer noch Athelric an seiner Seite und sagte, ohne ihn anzusehen: »Zähl die Toten.«
»Das ist bereits geschehen«, antwortete Athelric. Beide wussten, dass der Hauptgrund für die Zählung der Toten war herauszufinden, ob Unwin darunter war.
Athelric seufzte und setzte sich neben Elfling. Erschöpft ließen sich beide auf den Boden sinken. Sie hatten sich nichts zu sagen. Beide fühlten, wie ihre Gliedmaßen immer wieder zitterten.
Ebba hatte auf dem Hang des Hügels ganz still gelegen, als der Kampf über ihr lautstark tobte und die Flüchtenden an ihr vorbeigerannt waren. Erst als der Lärm aufgehört hatte, wagte sie es, den Hang zur Kuppe des Hügels hinaufzukriechen. Sie hatte Angst und zuckte bei jedem Laut, bei jeder Bewegung zusammen; sie hatte keine Rüstung, die sie vor scharfen Klingen schützte, und sie bewegte sich zwischen Männern, denen der Schrecken des Kampfes noch in den Knochen saß und die bereit waren, auf alles einzuschlagen, was in ihre Nähe kam. Als sie sich der Kuppe näherte, lagen überall Tote und Verwundete. Sie musste über sie hinwegsteigen. Ringsum Wunden und Blut. Sie wandte schnell den Blick von den zerschlagenen Gesichtern und zerschnittenen Muskeln ab. Sie wanderte weiter und bemühte sich auf dem Weg, die schrecklichsten Anblicke zu meiden. Und dann – auf der Kuppe – sah sie Elfling. Sie lief geradewegs auf ihn zu und stieg dabei über alles, was ihr im Weg war.
Er saß neben einem schwereren älteren Mann auf der Erde. Eine kleine Schar Bewaffneter stand bei ihnen und starrte sie an. Elfling trug ein Kettenhemd, dessen Glieder im Sonnenlicht glänzten. Dann hob er den Kopf. Ebba starrte ihn an.
Sein Haar war länger, als sie es je gesehen hatte, und hing hinten offen und an den Seiten in dünnen Zöpfen herab. Die Sonne fing sich darin und verwandelte es in Weiß und Gold. Jeden Tag und jede Nacht hatte sie sich bemüht, sich zu erinnern, wie er aussah. Doch jetzt erkannte sie, wie verschwommen und unvollständig ihre Erinnerung gewesen und wie wunderschön er in Wirklichkeit war. Sie spürte, wie die Liebe aus ihrem tiefsten Inneren aufstieg, warm, süß und verzehrend: Sie spürte, wie ihr Herz zu ihm strebte. Sie war sicher, dass er sie lieben musste. Denn wie konnte sie so viel empfinden und er nicht das Gleiche?
Sie wagte sich etwas näher heran. Auf dem Gras lag nahe bei Elfling ein großes Schwert mit schwarzem Griff. Die Klinge war dunkel vom getrockneten Blut. Sie würde das Schwert für ihn säubern, dachte sie, obgleich es für sie ein schrecklicher Anblick war, dick mit Blut beschmiert. Aber sie würde Grasbüschel ausreißen und es reinigen – um ihm die Arbeit abzunehmen.
Sie ging noch näher und schaute ängstlich zu den Männern, ob diese sie nicht vielleicht verjagen würden. Elfling hatte wieder den Kopf gesenkt und sah sie nicht. Noch ein Stückchen näher, dann konnte sie in die Hocke gehen und die Hand nach seinem Schwert ausstrecken … Gerade als sie es berühren wollte, hob Elfling ruckartig den Kopf und sagte: »Lass das!«
Ebba zuckte zurück und blieb einfach stehen und schaute ihn an. Sie hatte Angst, dass sie ihn irgendwie beleidigt hatte, und wusste nicht, was sie sagen sollte.
Elfling runzelte die Stirn, als er Ebba erkannte. Ebba aus seinem alten niedergebrannten Gehöft. Er fragte sich, wie sie hergekommen war, aber er war zu müde, um darüber nachzudenken. Doch diesen starren Blick kannte er, das Flehen, die dösigen Augen, und wäre er nicht so erschöpft gewesen, wäre er zornig geworden. Dieses dämliche Mädel lief ihm wieder hinterher, demütigte sich und weckte in ihm eine Verärgerung, die er nicht fühlen wollte. Und jetzt gehörte er der edlen Frau, die zu Rivalinnen keineswegs freundlich sein würde. Mehr als je zuvor brachte es Ebba kein Glück, ihn zu
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