Susan Price
Bruder Ingvald. Der feierliche Schwur, Elfling den Blutadler in den Rücken zu schneiden, würde die Dänen sicherlich beeindrucken. Und es würde sich herumsprechen, wenn er die dänische Armee in sein Land führte. Vor jeder Schlacht würden die Dänen einen Speer über die feindliche Armee werfen – den Speer, der jeden Mann unter ihm Odin weihte. Dieser Speer würde den Sachsen klarmachen, dass sie bei einer Niederlage bis auf den letzten Mann für Odin hingerichtet werden würden. Und ihr Anführer, ihr König, Elfling, würde den Blutadler erleiden. Sie würden bald schon merken, wie treu die neuen Untertanen der Elfenbrut wirklich waren, wenn der Schwur erst bekannt wäre. »Ich schwöre –«, er grinste, als er Ingvis begeistertes Gesicht sah, »– ich werde den Blutadler in den Leib der Elfenbrut schneiden.«
»Unwin –«, begann Vater Fillan. »Unwin …« Ihm fielen keine Worte ein, die an der Situation etwas ändern konnten. Wenn die Dänen den Blutadler vollzogen, dann nahmen sie sich einen lebendigen Mann und trennten die Rippen von seinem Rückgrat, bogen sie nach außen und zerrten die Lungenflügel hervor, in der Form der Flügel eines Adlers. »Wie könnt ihr nur so etwas sagen?«
»Wäre es Euch lieber«, fragte Unwin, »wenn ich ihn kreuzigte?«
»Oh, nun lästert Ihr Gott! Ihr habt Jesu Worte gehört – habt Ihr jemals wirklich zugehört? Ein Mensch – Gottes Schöpfung! Wie könnt Ihr davon sprechen, ihn zu verstümmeln, ihn zu töten, und dennoch Gottes Worte in Eurem Herz tragen?«
»Er ist ein Teufel«, sagte Unwin. »Kein Mensch. Ihr selbst habt ihn den Teufel genannt.«
»Dann habe ich gesündigt! Denn er ist zur Hälfte Mensch! Er ist Euer Halbbruder, Unwin! Der noch für die Sache Jesu gewonnen werden kann!«
Unwin drehte sich blitzschnell zu ihm um, beugte sich vor, sodass der Priester zurückwich. »Es hat meine Brüder getötet. Ich trage nichts ›in meinem Herzen‹ außer Rache. Ich habe einen Schwur geleistet, und ich werde vor einem halbwüchsigen Dänen keine Schande über mich bringen, indem ich mein Wort breche. Danach werde ich zu Euch kommen, Vater, und meine Sünden beichten und meine Buße leisten. Aber ich werde meinen Schwur erfüllen. Versucht nicht, mich davon abzubringen.«
Unwin erhob sich und wäre gegangen, hätte Fillan nicht nach seiner Hand gegriffen. »Mein Sohn, wenn Gott solch große Veränderungen in unserem Leben bewirkt, wie er es bei Euch getan hat, dann liegt es an uns zu fragen, was er uns damit sagen will.«
Unwin blickte für einen kurzen Moment schweigend auf ihn herab. Dann sprach er. »Vater, es scheint mir, als Gott mein Königreich in die Höhe warf und es in den Händen der Elfenbrut landete, dass er doch kein guter Jongleur ist. Das Beste für mich wird sein, mich auf des Königs Thron zu setzen, der mir rechtens zustand. Vielleicht wird dann niemandem auffallen, wie ungeschickt Gott sein kann.«
Vater Fillan ließ seine Hände in seine Ärmel gleiten. »Dann werdet Ihr nicht bei mir Eure Beichte ablegen. Ich werde nicht eine Nacht unter diesem Dach verbringen – ich werde im Königssaal nächtigen. Und morgen werde ich den König um Erlaubnis bitten, mich in mein Kloster zurückziehen zu dürfen, das ich, so wahr Gott mir helfe, nie wieder verlassen werde. Ihr mögt Euch einen Christen nennen, Unwin, aber tief in Eurem Herzen seid Ihr ein größerer Heide als dieser Teufel von einem Elfen.«
Unwin, der sich abgewandt hatte, warf einen Blick zurück auf den Priester. »Dann werde ich einen anderen Beichtvater finden. Von euch Pfaffen gibt es mehr als genug.« Unwin ging in sein Zimmer.
Ingvi, der auf dem Boden gekniet hatte, erhob sich. »Eine gute Nacht, Vater«, sagte er und eilte Unwin hinterher. Er wollte ihn fragen, ob er nicht in seinem Haus bleiben könne, anstatt auf der Suche nach einem Schlafplatz die kalten, dunklen Höfe zu durchstöbern.
Unwin, so dachte er bei sich, war ein großer Mann, genau wie sein Bruder, Jarl Ingvald. Er hätte nicht erwartet, dass ein Christ mit so deutlichen Worten die Pflicht der Rache hochhalten würde. Wenn Unwin König Loverns Hof verließ, um sein Land zurückzuerobern, gedachte Ingvi neben ihm zu reiten.
DIE ELFENBRUT
Eiskalt blies der Wind über das Tordach. Eine bewaffnete Reiterschar näherte sich ihnen, und es wirkte beruhigend, dass sie offen auf der königlichen Straße heranritten. Wer würde das tun, wenn er einen Angriff plante?
Der Wind zerrte an Kendidras Schleier und
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