Susan Price
schimmerte, war es die andere Klinge, von der sie ihren Blick nicht lösen konnte. Deren Schwertgriff wirkte düster und matt.
Ihr ältester Sohn, Godwin, hatte ihr eine Geschichte erzählt, die er über den Elfensohn gehört hatte. Der Teufel hatte von einer Kriegsmaid alles über das Kämpfen gelernt, und sie hatte ihm ein Schwert gegeben, das dunkel und hässlich wirkte, wertlos und ohne Seele, dem schlichten Werkzeug eines Bauern gleich. Doch es war von Woden, dem Teufel, geschmiedet worden. In der Hand seines Trägers wog das Schwert nichts, und seine Klinge war so scharf, dass sie den Wind entzweischneiden konnte. Mit ihr durchtrennte er alles. Und wenn es einmal gezogen war, dann schrie es laut auf und sang den mächtigen Zauberspruch der Todesfesseln, die Magie des Teufels Woden, welche die Feinde des Schwerts vor Todesangst erstarren ließ. Godwins Augen hatten vor Begeisterung gestrahlt, als diese Geschichte aus ihm herausgesprudelt war. Das Schwert, Wodens Versprechen, brachte seinem Träger immer den Sieg, und jedes Mal, wenn es gezogen wurde, musste es mit Blut bezahlt werden – dem Blut eines Menschen. Es gab keine Möglichkeit, es zu betrügen. Wenn sein Besitzer es je zog, ohne Blut zu vergießen, dann würde es sich gegen ihn wenden und ihm den Tod bringen.
»Godwin, dein Vater würde es nicht gutheißen, dass du solchen Geschichten zuhörst und sie sogar wiederholst«, hatte sie gesagt. »Du bist ein Christ.«
»Aber jeder erzählt sie!« Godwin wünschte sich nichts sehnlicher, als seinem Vater zu gleichen. Doch die Vorstellung eines solchen Schwerts faszinierte ihn. »Glaubst du, es schreit wirklich, wenn es gezogen wird?«
»Wir sind Christen«, hatte sie geantwortet, aber sie war erst mit ihrer Heirat zum christlichen Glauben übergetreten. Woden hatte sie ihre gesamte Kindheit lang begleitet, eine schattenhafte Gestalt, mit einem blauen Auge und einer leeren, ausgekratzten Augenhöhle: Das Auge richtete seinen Blick auf Leben und Wachstum, die leere Augenhöhle konnte in der Dunkelheit sehen und erkannte die Welt jenseits des Todes. Sie hatte vor jedem Menschen Angst, der von sich behauptete, mit diesem Gott zu tun zu haben. Ein Teil ihrer selbst fürchtete, dass alles, was Godwin ihr über das Schwert berichtet hatte, der Wahrheit entsprach.
Die Reiterschar hielt am Graben vor Unwins Burg an. Einer der Anführer trieb sein Pferd über die Brücke, bis er sich unter dem Torhaus befand. Kendidra beugte sich über die Palisade und blickte auf die metallene Maske hinab. War dies der Elfengeborene?
»Im Namen des Königs, öffnet das Tor!« Der Ruf des Reiters hallte laut aus seinem Helm.
Kendidra, die nicht brüllen konnte, wandte sich an ihren Hauptmann. »Sagt ihm, da König Eadmund tot ist, wissen wir von keinem König.«
Der Hauptmann atmete tief ein und wiederholte ihre Worte in einer Lautstärke, die den Lärm der unruhigen Pferde und klirrenden Zaumzeuge übertönte.
Der Reiter griff mit den Händen an seinen Kopf und riss mit einem Ruck den Helm herab. Dichtes, aber schwindendes blondes Haar kam zum Vorschein. Er richtete seinen Blick nach oben, ein verhärmtes, gealtertes Gesicht, das Kendidra wiedererkannte. Erneut erzitterte ihr Körper, diesmal aus Hoffnung und Erleichterung – Athelric, der Vatersbruder ihres Mannes. Ein Mitglied der königlichen Familie und ihren Kindern blutsverwandt. Aber als sie noch darauf hoffte, dass er sie beschützen würde, wurde sie wieder von Angst ergriffen. Die Geschichte der königlichen Familie war von vielen Gelegenheiten gekennzeichnet, bei denen sie ihr eigenes Blut vergossen hatte, und Athelric hatte sich auf die Seite der Elfenbrut geschlagen. Als Unwins Halbbruder hatte der Elfensohn genügend Gründe, Unwins Kinder tot sehen zu wollen.
»Treibt kein Spiel mit uns!«, rief Athelric. »Öffnet das Tor! Im Namen des Königs!«
Die Garnison benötigte aber mehr als das, sie brauchte Gewissheit. Der Hauptmann brüllte zurück: »In wessen Königs Namen sprecht Ihr?«
In diesem Augenblick richtete sich der Reiter, der auf der anderen Seite des Grabens zurückgeblieben war, auf und rief: »In meinem Namen!« Die Stimme wurde durch den Helm zugleich gedämpft und lauter. Kendidras Blick heftete sich voller Angst auf ihn. Das war also der Elfengeborene! Und das war das Schwert. Während sie ihn anstarrte, brachen die Landbewohner, die sich um die Reiterschar versammelt hatten, in lauten Jubel aus.
Der Hauptmann sprach leise mit Kendidra.
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