Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
einzige Zeit, in der meine Gedanken nicht um Jesse kreisten.
Allerdings kamen sie wenige Stunden später mit voller Wucht zurück, als ich plötzlich davon wach wurde, dass mir eine Hand auf den Mund gepresst wurde.
Und ich eine Messerklinge an meiner Kehle spürte.
KAPITEL 4
A ls Mittlerin habe ich schon eine gewisse Erfahrung mit … sagen wir mal … unsanften Weckmethoden.
Aber das hier war noch wesentlich unsanfter als sonst. Geister, die Hilfe brauchten, gaben sich normalerweise extrem viel Mühe, mich nicht gegen sich aufzubringen - und mit einem Messer herumzufuchteln, war da ziemlich kontraproduktiv.
Aber als ich die Augen aufmachte und die Person erkannte, die mit dem Messer herumfuchtelte, war mir sofort klar, dass die keine Hilfe brauchte. Nein, die wollte mich umbringen.
Keine Ahnung, woher ich das wusste. Wahrscheinlich wieder mal meine Mittler-Instinkte.
Natürlich war das Messer auch ein ziemlich aussagekräftiger Hinweis.
»Hör mir mal gut zu, du dummes Mädchen«, zischte Maria de Silva mir zu. Maria de Silva Diego, müsste ich wohl eher sagen, denn schließlich war sie zum Zeitpunkt ihres Todes mit dem Sklavenhändler Felix Diego verheiratet gewesen. All das hatte ich aus einem Buch mit
dem Titel »Mein Monterey«, das Schweinchen Schlau aus der Bibliothek mitgebracht hatte und in dem die Geschichte von Salinas County zwischen 1800 und 1850 beschrieben wurde. Da war sogar ein Bild von Maria drin gewesen.
Deshalb wusste ich nun auch auf Anhieb, wer mir da nach dem Leben trachtete.
»Wenn du«, zischte Maria weiter, »deinen Vater und deinen Bruder nicht schleunigst von dem Gebuddel abhältst …« - Stief vater und Stief bruder, hätte ich gern korrigiert, aber das war leider angesichts der Hand, die mir den Mund zuhielt, unmöglich -, »… dann sorge ich dafür, dass es dir leidtut, je geboren worden zu sein. Verstanden?«
Ziemlich harte Worte aus dem Munde eines Mädchens, das Reifröcke trug. Denn das war Maria: ein Mädchen.
Allerdings war sie nicht so jung gestorben. Als sie um die Jahrhundertwende das Zeitliche gesegnet hatte - ich meine natürlich die Jahrhundertwende 1899/1900 -, war Maria de Silva Diego rund siebzig Jahre alt gewesen.
Der Geist, der über mir schwebte, war aber etwa in meinem Alter. Maria hatte schwarze Haare ohne ein einziges graues Härchen, und sie trug es zu diesen Ringellöckchen rechts und links neben den Schläfen gedrechselt, die damals so in Mode waren. Und sie war üppigst mit Schmuck behängt. Ein dicker Rubin baumelte an einer Goldkette um ihren schmalen Hals - sehr Titanic- mäßig - und an ihren Fingern prangten
diverse schwere Ringe. Wovon mir einer gerade ziemlich ins Zahnfleisch schnitt.
In Kinofilmen werden Geister immer falsch dargestellt. Wenn man stirbt, nimmt der Geist nicht die Gestalt an, die er im Augenblick des Todes hatte. Es gibt keine Geister, die mit heraushängenden Eingeweiden oder dem Kopf unterm Arm durch die Gegend laufen. Sonst hätte Jack allen Grund gehabt, so viel Angst vor ihnen zu haben.
Nein, die Sache sieht ganz anders aus. Der Geist taucht immer in der Gestalt auf, die er hatte, als er am lebendigsten und stärksten war.
Dieser Zeitpunkt war für Maria de Silva offenbar ungefähr in ihrem siebzehnten Lebensjahr gewesen.
Immerhin hatte sie einige Jahrzehnte zur Auswahl gehabt. Jesse hingegen hatte nicht lang genug leben dürfen, um sich das aussuchen zu können. Was wahrscheinlich ganz und gar die Schuld dieses Mädchens war.
»Oh nein«, sagte Maria, und ihre Ringe schrappten so heftig über meine Zähne, dass ich das als ziemlich unangenehm empfand. »Denk nicht mal dran.«
Keine Ahnung, woher sie das wusste, aber ich hatte in der Tat gerade überlegt, ob ich ihr die Knie in den Rücken rammen sollte. Doch die Klinge, die sich gegen meine Halsschlagader presste, brachte mich schnell von diesem Vorhaben ab.
»Du wirst dafür sorgen, dass dein Vater nicht mehr weitergräbt, und du wirst die Briefe vernichten, verstanden, kleines Mädchen?«, fauchte Maria. »Außerdem
wirst du sie - und mich - Hector gegenüber mit keiner Silbe erwähnen. Habe ich mich klar ausgedrückt?
Was hätte ich machen sollen? Immerhin drückte sie mir ein Messer an die Kehle! Und es erinnerte nichts an ihr an die Maria de Silva, die die dämlichen Briefe geschrieben hatte. Diese Tusnelda, die mich da in Schach hielt, war nicht der Typ Mädchen, der sich über Hauben ausließ, wenn man versteht, was ich meine. Es gab keinen Zweifel
Weitere Kostenlose Bücher