Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
…
Tja, sie eben dahin schicken, woher sie gekommen war. Oder sie zumindest in ein Häuflein angstbebender Gelatine verwandeln. Eins von beidem.
Denn obwohl Geister schon tot sind, können sie durchaus noch Schmerzen empfinden, genau wie lebende Menschen Phantomschmerzen in einem längst amputierten Arm oder Bein spüren. Wenn man einem Geist ein Messer in den Bauch rammt, weiß er, dass es wehtun sollte , also tut es ihm auch weh. Die Wunde blutet sogar eine Weile.
Allerdings überwinden Geister den Schock sehr schnell und auch die Wunde schließt sich wieder. Was ziemlich frustrierend ist, weil nämlich die Wunden, die sie ihrerseits mir zufügen, absolut nicht so schnell abheilen.
Aber egal. Es funktioniert, mehr oder weniger jedenfalls.
Die Wunde, die Maria de Silva mir beigebracht hatte, war gar nicht so sehr äußerlich sichtbar, aber das spielte keine Rolle. Was ich ihr anzutun gedachte, würde auf jeden Fall zu sehen sein. Mit etwas Glück wäre auch ihr Widerling von Ehemann in der Nähe und ich könnte dasselbe Verfahren auch auf ihn anwenden.
Aber was würde passieren, wenn mein Plan nicht aufging und die beiden aus mir Hackfleisch machten?
Tja, das war das Coolste an der Geschichte: Es war mir völlig egal. Schnurzpiepegal. Ich hatte mir jedes Gefühl aus dem Leib geweint und empfand jetzt gar nichts mehr. Es war nicht wichtig. Null.
Ich war wie betäubt.
Und so ließen mich, als ich heimlich durchs Fenster auf das Verandadach hinauskletterte, auch die Sachen völlig kalt, die mir sonst einiges bedeuten: zum Beispiel der Mond über der Bucht, der mit seinem Schein schwarz-graue Schatten hervorbrachte, oder der Duft der großen Kiefer rechts von der Veranda. Es war mir egal. Mir war alles egal.
Ich hatte gerade das Verandadach überquert und wollte mich nach unten hangeln, als ich plötzlich ein Licht wahrnahm, das heller war als der Mondschein, aber viel schwächer als zum Beispiel die Deckenleuchte in meinem Zimmer.
Ja, zugegeben, ich dachte, es wäre Jesse. Keine Ahnung warum, schließlich entbehrte es jeglicher Logik. Aber jedenfalls machte mein Herz einen Freudensprung, ich wirbelte herum …
… Und da stand Maria keine zweieinhalb Meter von
mir entfernt auf dem abschüssigen, mit Kiefernadeln übersäten Dach. Sie sah genauso aus wie auf dem Porträt in Clive Clemmings’ Büro: elegant und wie aus einer anderen Welt.
Kein Wunder, sie kam ja auch aus einer anderen Welt.
»Möchtest du ausgehen, Susannah?«, fragte sie mit ihrem spröden, leicht spanischen Akzent.
»Ja«, sagte ich und klappte meine Kapuze nach hinten. Ich hatte mir einen Pferdeschwanz gemacht. Total hässlich, ich weiß, aber in dieser Situation brauchte ich dringend so viel Rundumblick wie möglich. »Aber jetzt, wo du hier bist, kann ich dableiben. Ich kann dir deinen knochigen Arsch genauso gut hier versohlen wie in deiner stinkigen Gruft.«
Maria zog die elegant geschwungenen Augenbrauen hoch. »Also, diese Ausdrucksweise …«, sagte sie. Hätte sie einen Fächer dabeigehabt, hätte sie sich bestimmt wie Scarlett O’Hara Luft zugefächelt. »Was habe ich denn getan, dass ich solch unziemende Beleidigungen verdient hätte? Mit Honig fängt man nämlich mehr Fliegen als mit Essig.«
»Ach was, du weißt sehr gut, womit du das verdient hast«, sagte ich und ging einen Schritt auf sie zu. »Fangen wir doch mal mit den Käfern im Orangensaft an.«
Sie strich sich langsam eine schwarzglänzende Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihren Löckchen an den Seiten gelöst hatte.
»Ja«, sagte sie. »Dachte ich mir, dass dir das gefallen würde.«
»Dr. Clemmings umzubringen, war aber schon ein
ziemlich starkes Stück«, verkündete ich und machte noch einen Schritt nach vorn. »Den hättest du ja gar nicht umzubringen brauchen, das weißt du doch, oder? Weil du nur das Gemälde haben wolltest. Das von Jesse. Stimmt’s?«
Sie schürzte die Lippen und sah gleichermaßen schmollend wie selbstzufrieden aus.
»Ja. Ich wollte ihn erst gar nicht umbringen. Aber als ich das Porträt sah - mein Porträt -, das über seinem Schreibtisch hing … Na ja … ich konnte einfach nicht anders. Der Mann ist doch nicht einmal mit mir verwandt! Wie kommt er dazu, sich so ein exquisites Gemälde in sein schäbiges kleines Büro zu hängen? Dieses Gemälde hat einst mein Speisezimmer geschmückt, mit einer Tafel für zwanzig Gäste.«
»Tja«, entgegnete ich. »Soweit ich weiß, hat keiner deiner Nachkommen es haben wollen.
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