Susannah 4 - Auch Geister lieben süße Rache
den Hörer vom Ohr und starrte es an, als hätte es mir eben wie ein Schaf in den Gehörgang geblökt.
Ehrlich. Das wäre mir in dem Moment genauso sinnentleert vorgekommen wie das, was Pater Dom eben gesagt hatte.
Dann hielt ich mir den Hörer wieder ans Ohr.
»Susannah?«, sagte Pater Dominic. »Haben Sie mich verstanden? Ich meine das ernst. Es ist schon ein Mensch gestorben. Und zweifellos wird jemand aus Ihrer Familie der Nächste sein, wenn Sie nicht schleunigst von dort verschwinden.«
Klar, ich war ein seelisches Wrack. Aber so ein Wrack nun auch wieder nicht.
»Pater Dom«, sagte ich. »Ich kann ihnen doch unmöglich erzählen …«
»Doch, Sie können«, unterbrach er mich. »Ich fand es schon immer verkehrt, dass Sie Ihre Gabe vor Ihrer Mutter geheim halten. Jetzt ist es höchste Zeit, dass Sie sie einweihen.«
»Na klar doch«, entgegnete ich.
»Susannah«, sagte Pater Dominic. »Die Käfer waren nur der Anfang. Wenn diese Maria de Silva sich auf dämonische Weise Ihres Hauses bemächtigt, werden dort schreckliche Dinge geschehen … Dinge, die so entsetzlich sind, dass Sie sich so was in Ihren schlimmsten Albträumen nicht vorstellen können …«
»Sich auf dämonische Weise unseres Hauses bemächtigt?« Ich umklammerte den Hörer noch fester. »Hören Sie, mag ja sein, dass die Frau sich meinen Freund unter den Nagel gerissen hat - mit meinem Haus wird ihr das nicht gelingen.«
Pater Dominic klang erschöpft. »Bitte, Susannah«, bat
er, »tun Sie, was ich gesagt habe. Schaffen Sie sich und Ihre Familie da raus, bevor irgendjemand Schaden erleiden kann. Ich verstehe ja, dass Sie wegen Jesse völlig aus dem Häuschen sind, aber Jesse ist nun mal tot - während Sie, zumindest jetzt noch, am Leben sind. Wir müssen alles unternehmen, damit das auch so bleibt. Ich fahre sofort los, aber ich kann erst in sechs Stunden bei Ihnen sein. Am Morgen bin ich da, das verspreche ich Ihnen. Wenn wir Ihr Haus überall gründlich mit Weihwasser segnen, müsste das zwar sämtliche bösen Geister vertreiben, aber bis dahin …«
Spike war quer durchs Zimmer zu mir gekommen. Ich dachte schon, er würde mich wie üblich beißen, aber stattdessen schmiegte er sich direkt an mein Gesicht und stieß ein sehr lautes, sehr jämmerliches Maunzen aus.
»Gütiger Gott!«, rief Pater Dominic am anderen Ende der Leitung. »War sie das? Ist sie etwa schon da?«
Ich kraulte Spike hinter seinem einen verbliebenen Ohr, völlig verblüfft, dass er sich von mir anfassen ließ. »Nein, das war Spike«, antwortete ich. »Jesse fehlt ihm.«
»Susannah, ich weiß, wie schmerzhaft das für Sie sein muss«, sagte Pater Dominic. »Aber wo immer Jesse sich jetzt befindet - es geht ihm dort sicher besser als während der ganzen vergangenen hundertfünfzig Jahre, die er im Spagat zwischen dieser Welt und der jenseitigen zugebracht hat. Natürlich ist das schwer, aber versuchen Sie sich für ihn zu freuen. Außerdem würde er sicher wollen, dass Sie gut auf sich aufpassen. Er würde wollen, dass Sie sich und Ihre Familie in Sicherheit bringen …«
Da wurde mir schlagartig klar, dass er recht hatte. Genau das würde Jesse wollen. Und ich saß hier nur in meinem Pyjama rum, während ich längst entsprechende Schritte hätte unternehmen sollen.
»Pater Dom«, unterbrach ich den Sermon meines Direktors. »Auf dem Friedhof oberhalb der Mission Academy … Liegen da irgendwelche de Silvas begraben?«
Damit hatte ich ihn völlig aus dem Konzept gebracht. »Ich … de Silvas? Also, ich weiß nicht … Ich glaube nicht …«
»Oh, Moment mal«, sagte ich. »Sie hat doch einen Diego geheiratet. Dann müsste es doch eine Diego-Gruft geben, oder nicht?« Ich versuchte, mir den kleinen Friedhof vor Augen zu führen. Er ist von hohen Mauern umgeben und liegt direkt hinter der Basilika der Mission Academy, meiner Schule, deren Direktor Pater Dominic ist. Da gibt es nur einige wenige Gräber, vor allem von den Mönchen, die mit Junipero Serra zusammengearbeitet hatten, dem Mann, der die Mission in Carmel irgendwann nach 1700 erbaut hatte.
Aber ein paar wohlhabenden Grundbesitzern war es dann im 19. Jahrhundert doch gelungen, das eine oder andere Mausoleum auf dem Friedhof unterzubringen, indem sie der Kirche einen ansehnlichen Teil ihres Reichtums gespendet hatten.
Die größte Familiengruft - das weiß ich deswegen so genau, weil Mr Walden, unser Geschichtslehrer, uns mal zu einer Anschauungsstunde auf den Friedhof geführt hat - trägt die
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