Susannah 6 - Auch Geister sind romantisch
ich mich um Diego kümmere.«
»Für Leute wie dich gibt es einen ganz speziellen Ort, Paul«, ächzte ich und spuckte ein paar Halme aus. Dieses Heu hing mir so langsam zum Hals raus. Im wahrsten Sinne des Wortes.
»Du meinst eine Besserungsanstalt?«, scherzte Paul.
»Nein, die Hölle.«
»Ach, Suze, nun hab dich nicht so.« Er war jetzt mit den Füßen fertig. Vielleicht, damit ich nicht auf die Idee kam, vom Heuboden herunterzurollen, band er das eine Ende des Seiles an einem Pfosten fest. »Ich komme zurück und binde dich los, sobald ich Felix Diego kaltgemacht hab. Und dann können wir nach Hause.«
»Wo ich nie wieder ein Wort mit dir sprechen werde«, ergänzte ich für ihn.
»Doch, das wirst du«, sagte Paul fröhlich. »Du wirst dich nämlich an nichts mehr erinnern. Wir werden gar nicht in die Vergangenheit gereist sein, um Jesse zu helfen. Weil du gar nicht mehr wissen wirst, wer dieser Jesse eigentlich ist.«
»Ich hasse dich!« Und das meinte ich genau so.
»Jetzt vielleicht«, stimmte Paul mir zu. »Aber nicht mehr morgen, wenn du in deinem eigenen Bett aufwachst. Sobald Jesse erst mal von der Bildfläche verschwunden ist, bin ich das Beste, was dir je passiert ist. Nur du und ich, zwei Wechsler gegen den Rest der Welt. Das wird ein Spaß, was?«
»Fahr doch zur …«
Den Satz konnte ich nicht mehr beenden. Paul zog ein weißes Taschentuch – zum Glück ein unbenutztes – aus seiner Hosentasche. Er hatte mir mal erzählt, er würde es immer bei sich tragen; man wüsste schließlich nie, wann man mal spontan jemanden knebeln müsste.
»Wag – es – nicht!«, zischte ich ihn an.
Er wagte es. Er stopfte mir das zusammengeknüllte Tuch in den Mund und fixierte es dort mit einem weiteren Stück Seil.
Ich hasste ihn, wie ich ihn noch nie zuvor gehasst hatte. In jeder Faser meines Körpers brannte die reine Verachtung für ihn. Das änderte sich auch nicht, als er mir mit einem fröhlichen »Ciao, Bella« den Kopf tätschelte, die Leiter vom Heuboden hinunterkletterte und mich allein ließ.
Kapitel 15
I ch weiß nicht, wie lange ich so dort lag. Lange genug jedenfalls, um überlegen zu können, ob ich nicht einfach die Augen schließen und mich nach Hause zurückteleportieren sollte. Aber wer konnte schon wissen, wo ich genau ankäme? Irgendwo im Garten. Wahrscheinlich mitten im Giftsumach. Wir hatten schließlich keine Scheune an dieser Stelle. Andererseits wäre alles besser, als hier so verknotet und verkrampft auf dem Boden des Heuschobers zu liegen, während einem Wer-weiß-was durchs Haar krabbelte. Das Blut rauschte mir geräuschvoll in den Ohren.
Aber wenn ich jetzt aufgab … Eine Welt ohne Jesse konnte ich mir nicht vorstellen. Eine Welt ohne meinen einzigen Lebenssinn. Mehr oder weniger einzigen Lebenssinn. Natürlich weiß ich, dass eine Frau einen Mann in ihrem Leben genauso dringend braucht wie ein Fisch ein Fahrrad, aber trotzdem …
Ich liebe ihn.
Ich durfte nicht aufgeben. Ich hatte noch ein paar Stunden Tageslicht vor mir, zumindest war es so gewesen, als Paul verschwunden war. Mittlerweile wurden die Schatten aber schon länger.
Wenn Mrs O’Neil Paul die Wahrheit gesagt hatte und Jesse wirklich erst heute Abend kam, hatte ich tatsächlich noch etwas Zeit. Vielleicht fand Paul Diego ja auch gar nicht. Vielleicht kam er unverrichteter Dinge zurück. Und dann, in dem Moment, in dem er mich losbinden würde …
Drücken wir es mal so aus: Er würde von mir gratis ein paar Lektionen über das menschliche Schmerzempfinden bekommen. Dieses Mal war ich vorbereitet.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, während ich mir meine Rache an Paul Slater in allen Farben ausmalte. Der Tod wäre natürlich viel zu gnädig für ihn. Eine Ewigkeit als Geist – körperlos zwischen den Dimensionen zu driften, das war es, was mir für ihn vorschwebte. Dann konnte er am eigenen Leib spüren, was Jesse all die Jahre mitgemacht hatte. Na ja, was heißt »Leib« …
Der Plan war gar nicht so abwegig. Ich könnte Pauls Seele aus seinem Körper reißen und ihr den Rückweg für immer versperren. Indem ich seinen Körper jemand anderem gab. Jemandem, der eine Chance auf ein neues Leben verdient hatte.
Aber nein. Nein, das ging nicht. Ich könnte Paul nicht küssen, selbst wenn ich wüsste, dass Jesse in seinem Körper steckte und er es war, der mich küsste. Die Vorstellung war irgendwie … abartig.
Während diese Gedanken in meinem Kopf kreisten, drang plötzlich ein Laut an meine
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