Susannah - Auch Geister koennen kuessen
lieb ist, Jesse, dann geh mir aus dem Weg und lass mich machen!«
Ich trat heftig gegen den Kippständer und ruckte gleichzeitig am Lenker. Die Bewegung erwischte Jesse auf dem falschen Fuß und unwillkürlich ließ er das Fahrrad los. Eine Sekunde später war ich schon davongesaust. Hinter meinem Hinterrad spritzte der Kies und Jesse blieb, in meine Staubwolke gehüllt, zurück. Ich hörte noch, wie er etwas auf Spanisch ausstieß, vermutlich Flüche, das Wort »querida« kam jedenfalls eindeutig nicht darin vor.
Ich sah nicht viel auf der Fahrt durchs Tal. Der Wind war so eisig, dass er mir ständig Tränen über die Wangen und nach hinten in die Haare trieb. Zum Glück waren nicht viele Autos unterwegs, und die wenigen, die da waren, gewährten mir netterweise Vorfahrt, sodass meine eingeschränkte Sicht nicht sehr ins Gewicht fiel, als ich über die große Kreuzung bretterte.
Ich wusste, dass es diesmal schwieriger sein würde, ins Schulgebäude einzubrechen. Nach den Geschehnissen der vergangenen Nacht waren die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Was keine große Kunst war, vorher hatte es schließlich gar keine gegeben.
Ja, jetzt war das eindeutig anders. Ein Streifenwagen stand ohne Licht auf dem Schulparkplatz. Der Mondschein spiegelte sich in den geschlossenen Scheiben. Der Fahrer – bestimmt ein Neuling, der das Pech gehabt hatte, so eine langweilige Aufgabe aufgebrummt zu bekommen – hörte vermutlich Musik, obwohl ich von meinem Standort vor der Einfahrt zum Parkplatz nichts hören konnte.
Ich würde also einen anderen Weg ins Schulgebäude finden müssen. Was weiter kein Problem war. Ich verbarg das Fahrrad im Gebüsch und machte einen kleinen Spaziergang rund um das Schulgelände.
Es gibt nicht viele Gebäude, in die man als ziemlich schlankes sechzehnjähriges Mädchen nicht hineingelangen könnte. Ich meine, wir sind recht biegsam. Und ich persönlich bin an manchen Stellen ganz besonders gelenkig. Ich werde hier nicht verraten, wie ich es schließlich hineinschaffte, denn ich hab keine Lust, dass die Schulbehörde es irgendwann erfährt – wer weiß, vielleicht muss ich den Trick ja mal wiederholen. Aber so viel sei gesagt: Wenn man Tore baut, sollte man lieber dafür sorgen, dass sie bis zum Boden reichen. Der Abstand zwischen Tor und Betonboden war gerade groß genug, dass ich mich hindurchwinden konnte.
Im Innenhof sah es jetzt ganz anders aus als in der vorangegangenen Nacht – und sehr viel unheimlicher. Die Scheinwerfer waren samt und sonders ausgeschaltet, was meiner Meinung nach nicht gerade zur Erhöhung der Sicherheit beitrug, aber womöglich hatte Heather alle Glühbirnen kaputt gemacht. Der Hof war in dunkle, gruselige Schatten getaucht. Der Springbrunnen war abgestellt und außer den Grillen war diesmal nichts zu hören. Grillen, die in den Hibiskusbüschen zirpten. Grillen sind okay, sie sind unsere Freunde.
Von Heather keine Spur. Und auch sonst von keiner Menschenseele. Gut.
Ich schlich so leise wie möglich – und mit meinen Turnschuhen war ich ziemlich leise – zu dem Spind, den Heather und ich uns teilten. Ich kniete mich auf den kalten Steinboden und öffnete meinen Rucksack.
Als Erstes machte ich die Kerzen an. Ich brauchte sie, um etwas um mich herum zu sehen. Ich hielt mein Feuerzeug – okay, es war nicht mein Feuerzeug, sondern der Grillanzünder mit dem langen Griff – ans untere Ende einer Kerze, ließ etwas Wachs auf die Steinplatten tropfen und machte die Kerze im Wachsmatsch fest. Das tat ich mit allen Kerzen, bis sie schließlich einen Ring vor mir bildeten. Dann zog ich den Deckel von der Plastikschüssel mit Hühnerblut ab.
Ich werde jetzt nicht sagen, welche Figuren ich mit dem Blut in den Kerzenring malte. Ein Exorzismus ist nicht dazu gedacht, dass man das zu Hause nachmachen sollte. Egal wie schlimm es bei euch zu Hause spuken mag. Ein Exorzismus sollte nur von Profis wie mir durchgeführt werden. Schließlich wollt ihr doch nicht, dass irgendwelche unschuldigen Geister darunter leiden müssen, die sich zufällig gerade in der Nähe aufhalten. Ich meine, den lästigen Geist eurer bösen Oma zu beseitigen, mag ja noch angehen, aber andere …
Außerdem sollte man gerade von Mecumba – dem brasilianischen Voodoo – ganz besonders die Finger lassen. Also werde ich auch nicht die Beschwörungsformel verraten, die ich nun aufsagen musste. War sowieso auf Portugiesisch. Sagen wir einfach nur: Ich stippte einen Pinsel in das Hühnerblut,
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