Susannah Bd.3 - Auch Engel sind gefährlich
die Situation zu entschärfen.«
»Dieser Abschnitt des Highway«, dozierte Schweinchen Schlau lässig, »entlang der hundert Meilen langen Küstenstrecke, die als Big Sur bekannt ist, wurde schon immer als heimtückisch, ja sogar als sehr gefährlich angesehen. Die sich windende, schmale und häufig im Küstennebel verschwindende Straße wird dank einiger Denkmalschützer vermutlich nie ausgebaut werden.
Es ist die abgeschiedene Lage der Region, die den vielen Dichtern und Malern, welche sich dort niedergelassen haben, besonders gefällt. Auch Robinson Jeffers hat dort mal gewohnt und er empfand die raue, wilde Landschaft ausgesprochen faszinierend.«
Ich blinzelte meinen jüngsten Stiefbruder an. Sein fotografisches Gedächtnis konnte manchmal echt nervig sein, aber meistens erwies es sich als höchst nützlich, vor allem wenn die Zeit der Abschlussarbeiten näher rückte.
»Danke für die Infos«, sagte ich.
Schweinchen Schlau grinste, wobei er eine Zahnspange voll mit Essensbrei entblößte. »Gern geschehen.«
»Das Schlimmste ist«, nahm Andy wieder seinen Gedankenfaden auf, »dass gerade junge Fahrer von diesem gefährlich Streckenabschnitt wie magisch angezogen werden.«
Hatschi, der sich den Wildreis so in den Mund schaufelte, als hätte er seit Wochen nichts mehr zu essen bekommen, kicherte. »Also, Dad …«
Andy sah seinem mittleren Sohn ins Gesicht. »Weißt du, Brad«, sagte er milde, »in Amerika - und soweit ich weiß, auch in Europa - gilt es als gesellschaftlich durchaus akzeptabel, die Gabel zwischen zwei Bissen abzulegen und etwas Zeit auf das Kauen zu verwenden.«
»Junge Leute wollen eben dahin, wo die Action ist«, fuhr Hatschi fort und legte die Gabel weg, redete aber weiter mit vollem Mund.
»Was denn für eine Action?«, hakte mein Stiefvater neugierig nach.
Schlafmütz, der normalerweise nur dann sprach, wenn es unbedingt sein musste, war seit Ginas Ankunft zur echten Plaudertasche mutiert. »Er meint den Point«, sagte er.
Meine Mutter sah ihn verständnislos an. »Den Point?«
»Ja, den Point«, wiederholte Schlafmütz. »Den Aussichtspunkt. Da fahren samstags abends alle immer hin, um miteinander rumzumachen. Zumindest …« Schlafmütz kicherte vor sich hin. »Zumindest ist das bei Brad und seinen Freunden so.«
Hatschi, der sich an den Kommentaren seines Bruders nicht störte, wedelte mit einer Spargelstange durch die Luft, als wäre sie eine Zigarre. »Der Point ist der absolute Knüller.«
»Fährst du da immer mit Debbie Mancuso hin?«, erkundigte sich Schweinchen Schlau interessiert. In der nächsten Sekunde jaulte er vor Schmerzen auf, weil sein Schienbein unter dem Tisch brutal attackiert wurde. »Aua!«
»Debbie Mancuso und ich sind nicht zusammen!«, bellte Hatschi.
»Brad, hör auf, deinen Bruder zu treten«, befahl Andy. »Und du, David, hör auf, Miss Mancusos Namen bei Tisch aufzubringen. Wir haben die Geschichte doch schon hundertmal durchdiskutiert. Und, Suze …?«
Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Der Gedanke, dass du zu einem Jungen ins Auto
steigst, der in einen tödlichen Unfall verwickelt war, gefällt mir überhaupt nicht. Egal ob er daran schuld war oder nicht.« Er warf Mom einen Blick zu. »Oder siehst du das anders?«
»Nein, ich bin ganz deiner Meinung«, antwortete sie. »Ich hab auch ein ganz schlechtes Gefühl dabei. Die Meduccis haben in letzter Zeit bestimmt einiges durchgemacht …« Als Andy sie fragend anschaute, erklärte sie: »Ihre kleine Tochter war das Mädchen, das vor ein paar Wochen fast ertrunken wäre, erinnerst du dich?«
»Ach ja.« Mein Stiefvater nickte. »Bei der Pool-Party damals. Da waren keine Eltern, die aufgepasst hätten …«
»Dafür war aber jede Menge Alkohol im Spiel«, sagte Mom. »Anscheinend hat das arme Mädchen zu viel getrunken und ist dann in den Pool gestürzt. Was niemand bemerkte - oder wenn, dann hat jedenfalls niemand eingegriffen. Erst, als es zu spät war. Seitdem liegt sie im Koma. Selbst wenn sie überlebt, wird sie schwere Gehirnschäden davontragen, Suze.« Meine Mutter legte die Gabel wieder beiseite. »Ich finde es keine gute Idee, wenn du dich mit diesem Jungen triffst.«
Unter normalen Umständen hätte mich das jetzt echt gefreut. Ich meine, ich war ja selber alles andere als scharf darauf, mit diesem Typen auszugehen.
Aber ich musste es tun. Zumindest wenn ich auch nur den Hauch einer Chance haben wollte, ihn davor zu bewahren, demnächst im Sarg zu
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