Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
hingerissen.
Der Fahrer drehte sich halb zu ihr um. »Hübsch, nicht? Aber ich hab nichts für Krankenhäuser übrig. Na, wir sind da.«
Er fuhr durch ein breites Tor und hielt vor einem roten Ziegelhaus. Alles, was Susy sah, war eine Drehtür. Sie gab ihr einen solchen Schwung, daß sie gegen ihre Absätze schlug, während sie hindurcheilte. Wo war nun das Büro der Schwesternschule? Dort mußte sie sich melden, wie man ihr geschrieben hatte.
Der Tür gegenüber befand sich ein runder Kiosk, über dem »Auskunft« stand. Susy ging darauf zu. Der kleine Mann hinter der Glasscheibe sah ihr wohl an, daß sie eine der neuen Probeschwestern war. Ohne nach ihren Wünschen zu fragen, sagte er freundlich: »Das Büro der Schwesternschule ist dort hinten in der Halle, dritte Tür links. Sie können Ihr Gepäck hierlassen.«
Nach dem hellen Sonnenlicht draußen erschien es Susy recht dunkel in der hohen Halle. Mit klopfendem Herzen ging sie auf die bezeichnete Tür zu; sie stand offen; Susy sah in ein kleines Bürozimmer mit hell getünchten Wänden und dunklen Fensterrahmen. Vier Schwestern in weißer Tracht saßen an Schreibtischen und schrieben.
Keine von ihnen sah auf. Nach kurzem Zögern klopfte Susy an den Türrahmen. Vier Köpfe hoben sich, vier Paar Augen blickten sie fragend an. Susy fühlte sich ein wenig befangen. Aber der Anblick der weißen Tracht erregte sie freudig. Zum erstenmal sah sie Krankenschwestern in der Kleidung ihres Berufs. Die Operationsschwester ihres Vaters, eine ältere Frau, die niemals eine Haube trug, hatte immer irgendwelche unauffälligen Kleider an, die ihr nicht recht paßten. Und Susys eigene Kleider aus blauem Baumwollbatist mit den weißen Schürzen und weißen Kragen, die nach Angabe des Krankenhauses zu Hause angefertigt worden waren, sahen eigentlich mehr wie Hauskleider aus, aber nicht wie eine Tracht.
»Ich - ich heiße Susanne Barden«, brachte sie schließlich hervor.
Eine der Schwestern, eine große Frau mit weißen Haaren und gütigen Augen, stand auf und kam auf sie zu.
»Guten Tag, Fräulein Barden. Ich bin Fräulein Mason, die stellvertretende Leiterin der Schwesternschule.« Sie lächelte Susy freundlich zu. »Ich werde Sie in Ihr Zimmer führen. Um Ihr Gepäck brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Es wird Ihnen hinaufgebracht.«
Ihr Kleid raschelte, als sie in die Halle hinaustrat. Susy folgte ihr. Sie wußte nicht recht, ob sie etwas sagen sollte. Fräulein Mason gefiel ihr sehr.
Die beiden gingen durch ein Gewirr von Korridoren. Einige hatten rote Ziegelwände, breite Fenster und hohe gewölbte Decken und waren von hellem Sonnenlicht durchflutet. Andere, die weiß getüncht waren, wirkten kühl und ernst. In den stillen Gängen war nur das Rascheln von Fräulein Masons Rock zu hören.
»Der erste Eindruck ist ein wenig verwirrend, nicht wahr?« meinte sie. »Aber Sie werden sich bald hier zurechtfinden.«
»Hoffentlich«, antwortete Susy mit einem kleinen Lachen.
Sie versuchte, sich den Weg zu merken, aber es war unmöglich. Alle Gänge, durch die sie gingen, sahen gleich aus.
Das Gebäude kam Susy wie ein großes schweigendes Labyrinth vor.
Hin und wieder sah sie in der Ferne eine Schwester in Grau oder einen jungen Mann in Weiß vorüberhuschen. Patienten waren überhaupt nicht zu sehen. Nur Fräulein Mason und die anderen Schwestern im Büro trugen weiße Schürzen und gestärkte weiße Kragen und Manschetten. Ihre Hauben waren aus steifem weißem Stoff, oval geformt und kaum größer als eine Teetasse. Vorn waren sie ungefähr sieben Zentimeter hoch und wurden nach hinten zu niedriger. Um ihren unteren Rand lief eine winzige Krause. Die Dinger sahen recht sonderbar aus, fand Susy.
»Die Lernschwestern sind grau gekleidet«, erklärte Fräulein Mason. »Wenn Ihre drei Probemonate um sind, bekommen Sie ebenfalls eine graue Tracht.«
»Hoffentlich«, sagte Susy wieder. Es gab also drei verschiedene Trachten. Probeschwestern trugen eine blaue, Lernschwestern eine graue und Stabsschwestern eine weiße. Schade, daß Fräulein Mason so schnell ging. Susy hätte sich gern etwas gründlicher umgesehen. Sie verließen nun das Haus, durchquerten einige Anlagen und gingen eine Treppe hinauf, die in ein großes, mit Efeu umranktes Haus führte.
»Dies ist Haus Brewster, das Wohnhaus der Lernschwestern und der Probeschwestern. Die Senioren und die Stabsschwestern wohnen in Haus Grafton. Das liegt am anderen Ende des Geländes.«
Susy hatte einen verschwommenen
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