Susanne Barden 01 Hinaus ins Leben
Haar.
»Wissen Sie, ob es hier in der Nähe einen Golfplatz gibt?« fragte sie mit einer tiefen klaren Stimme.
Elfe Holton kicherte. Das dicke Mädchen starrte Constance Halliday sprachlos an, die nun ein wenig hilflos im Zimmer umhersah. Als sie überall spöttischen Blicken begegnete, errötete sie.
»Ach herrjemine!« rief Elfe laut. »Die denkt wohl, sie sei hier in einem Klub. Wenn sie erst mal ihren Achtstundentag hinter sich hat, wird ihr die Lust zum Golfspielen vergehen. Golfplatz! Das ist gut!«
Als sie eine Atempause machte, löste sich plötzlich ein Mädchen aus einer Gruppe am Kamin, warf Elfe einen zornigen Blick zu und ging quer durchs Zimmer auf Constance Halliday zu. Ihr Gang war frei und schwingend, der Gesichtsausdruck entschlossen. Sie hatte lustige braune Augen, eine mit Sommersprossen besäte kleine Stupsnase und kastanienbraunes Haar, das ihr in dicken lockeren Zöpfen um den Kopf lag.
»Guten Tag«, begrüßte sie Constance Halliday in einem etwas hart klingenden Dialekt. »Ich heiße Katharina van Dyke. Ich spiele auch gern Golf. Vielleicht können wir einmal zusammen spielen.«
Constance Halliday lächelte sie dankbar an. »Das wäre fein. Wollen wir uns nicht setzen?«
»Huh!« machte Elfe. »Ich hasse Menschen, die sich an reiche Leute ranmachen. Sie auch?«
Susy zuckte die Achseln. »Ich habe solche Menschen bisher noch nicht kennengelernt«, antwortete sie kühl. »Katharina van Dyke hat sich großartig benommen, finde ich. Und Sie waren recht unhöflich.«
Elfe Holton kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn in diesem Augenblick trat eine große, dunkelhaarige Frau in weißer Tracht ins Zimmer. Unwillkürlich standen alle Mädchen auf.
Fräulein Matthes nahm an einem Schreibtisch Platz. »Setzen Sie sich bitte«, sagte sie mit einer vollen angenehmen Stimme. Man merkte sofort, daß sie es gewohnt war, öffentlich zu sprechen. Ihr Wesen war freundlich, natürlich und sympathisch.
Sie sprach fast eine Stunde lang zu den Probeschwestern. Nach einigen einleitenden Begrüßungsworten erzählte sie ihnen von dem großen Krankenhaus, dem sie nun angehörten, von seinem traditionellen Dienst am Menschen, von den großartigen Leistungen, die hier vollbracht wurden, von den jahrzehntelangen Bemühungen, den Beruf der Krankenschwester zu einem der schönsten Frauenberufe zu machen. Zum Schluß verlas sie die Regeln über das persönliche Verhalten der Schwestern. Sie lauteten folgendermaßen:
1. Die Krankenschwestern sollen sich auf den Stationen und in den Korridoren der Häuser, die zu der Anstalt gehören, gesittet betragen.
2. Wenn eine Schwester in Tracht den Bezirk des Krankenhauses verläßt, soll sie einen verhüllenden Mantel überziehen und die Haube abnehmen.
3. Die Schwestern dürfen alle Abteilungen des Krankenhauses nur in dienstlichen Angelegenheiten aufsuchen.
4. In Straßenkleidung dürfen Schwestern eine Station nur mit Genehmigung der Schulleitung betreten.
5. Krankenschwestern dürfen auf einer Station nicht essen.
6. Sie dürfen im Dienst keinen Schmuck tragen.
7. Die Beziehungen zwischen Krankenschwestern und »Hausärzten« sollen rein dienstlich sein. Lernschwestern dürfen außerhalb des Krankenhauses nicht mit »Hausärzten« verkehren.
8. Eine Schwester muß aufstehen, wenn ein Arzt sie anspricht. Lernschwestern müssen in Gegenwart einer Stabsschwester oder dienstälteren Schwestern stehen.
»Einige dieser Regeln mögen Ihnen vielleicht unnötig streng erscheinen«, sagte Fräulein Matthes abschließend. »Aber jede einzelne ist wohl begründet. Eine Krankenschwester ist unter allen Umständen in erster Linie für die Kranken da. Sie trägt eine schwere Verantwortung, und ihr Betragen sollte dem angemessen sein. Jedes persönliche Vergnügen muß zurückstehen. Berufliche Würde und die Überlieferungen des Berufes haben Sie aufrechtzuerhalten. Das wäre alles für heute. Hat jemand noch eine Frage zu stellen?«
Ein hübsches Mädchen mit krausen Haaren stand auf.
»Warum dürfen wir nur dienstlich mit den Hausärzten verkehren?«
Unterdrücktes Kichern durchlief den Raum. Fräulein Matthes sah das Mädchen prüfend an. Dann sagte sie ernst: »Weil die Krankenhausleitung aus jahrzehntelanger Erfahrung weiß, daß Schwestern und Ärzte nicht so gut zusammen arbeiten, wenn persönliche Beziehungen zwischen ihnen bestehen.«
»Danke.« Die Fragerin setzte sich wieder.
Nun erhob sich ein anderes Mädchen. »Warum müssen wir vor einem Arzt
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