Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
nicht - Krankenschwester sein. Es wären schon zu viele in diesem Krankenhaus, die nicht hierher gehörten.«
»Ich finde nichts an Ihrem Aussehen auszusetzen«, log Susy taktvoll. »Sie müssen sich nicht so zu Herzen nehmen, was Fräulein Cameron sagt. Sie spricht zu allen in dieser Weise und meint es nicht böse. Im Grunde ist sie ein feiner und sehr anständiger Mensch.«
»Aber sie sagte ...«
»Das spielt keine Rolle. Sie denkt nicht im entferntesten daran, Sie nach Haus zu schicken. Was hat sie denn an Ihnen bemängelt?«
»Sie sagte, mein Unterrock gucke vor. Jedesmal, wenn ich in ihr Zimmer komme, sagt sie das zu mir. Aber er hat gar nicht vorgeguckt. Und heute abend drohte sie mir, mich nach Hause zu schicken, wenn ich nicht auf meine Kleidung achtgeben könnte.«
Susy warf den Mädchen an der Tür einen vielsagenden Blick zu.
»Hören Sie mal«, sagte sie zu Anni, »das ist eine komische Sache.«
»Mir kommt sie gar nicht komisch vor.«
»Kopf hoch! Vielleicht lachen Sie noch einmal darüber. Zu mir hat Fräulein Cameron nämlich genau dasselbe gesagt.«
»Zu Ihnen, Fräulein Barden? Aber das ist doch nicht möglich.«
»Doch, wirklich! Und anderen hat sie ebenfalls dasselbe vorgeworfen. Da stimmt etwas nicht. Ich hatte überhaupt keinen Unterrock an, als sie zu mir sagte, daß er vorgucke. Sie sind also nicht die einzige Leidtragende, wie Sie sehen. Beruhigen Sie sich nur wieder.«
»Aber sie hat es besonders auf mich abgesehen.«
»Unsinn!« Susy dachte einen Augenblick nach. Dann hatte sie einen
Einfall. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Gehen Sie zusammen mit ein paar Mädels aus Ihrer Klasse, die dasselbe erlebt haben, zu Fräulein Cameron .«
»Ich soll zu Fräulein Cameron gehen?« Annis Augen weiteten sich vor Entsetzen.
»Ja, warum nicht? Hören Sie zu!« Susy holte einen Stuhl herbei und setzte sich neben Anni. »Sie haben viel mehr Mut, als Sie selber wissen. Ich glaube einfach nicht, daß Sie so schüchtern sind, wie Sie sich einbilden. Sonst hätten Sie es doch niemals gewagt, hierher zu kommen und Krankenschwester zu werden. Nun müssen Sie den einmal eingeschlagenen Weg aber auch tapfer weiter gehen. Fräulein Cameron wird Sie nicht beißen. Und mit diesen Unterröcken stimmt etwas nicht.«
»Ich - ich kann nicht zu Fräulein Cameron gehen.«
»Gewiß können Sie das! Sie tun uns allen einen Gefallen, wenn Sie herausbekommen, was hinter der Geschichte steckt.«
»Aber wie soll ich das anfangen?«
»Das ist Ihre Sache. Es wird Ihnen schon etwas einfallen. Sie werden ja nicht allein sein, wenn Sie ein paar Mädchen aus Ihrer Klasse mitnehmen.«
»Ich - ich kann nicht. Bitte verlangen Sie das nicht von mir.«
»Aber ich verlange es von Ihnen«, antwortete Susy bestimmt.
»Sie wird mich bei lebendigem Leib verschlingen.«
»Ach wo! Es wird ihr gefallen, wenn Sie zu ihr kommen. Und falls es schiefgehen sollte, werde ich selber zu Fräulein Cameron gehen und ihr alles erklären. Das verspreche ich Ihnen.«
»Das würden Sie - für mich - tun?«
»Natürlich.« Susy wollte gerade sagen, daß sie es auch für jeden anderen tun würde, der so verzweifelt wie Anni war, besann sich jedoch eines besseren, als sie so etwas wie Entschlossenheit in dem Gesicht des Mädchens aufdämmern sah.
Anni Meyer sah Susy lange ehrfurchtsvoll an. Dann sagte sie leise: »Ich werde gehen, wenn Sie durchaus wollen, Fräulein Barden. Schließlich kann es nicht schlimmer werden, als es ist.«
»Das ist brav«, sagte Susy und stand auf.
Anni erhob sich ebenfalls, ein wenig schwankend, aber einigermaßen entschlossen. »Ach, Fräulein Barden, Sie sind wundervoll! Wenn ich das überstehe, habe ich es nur Ihnen zu verdanken.«
»Nein. Sie, Sie allein müssen es machen. Ich tue überhaupt nichts dazu.«
»Sie sind trotzdem wundervoll, Fräulein Barden. Vielen, vielen Dank!« Das schmächtige, tränenreiche Mädchen stolperte aus dem Zimmer. Die unsicheren Schritte entfernten sich.
»Alle Achtung, Susy!« rief Connie. »Glaubst du, daß sie es tun wird?«
»Ich weiß nicht. Hoffentlich!«
»Wundervoll, wundervoll, Fräulein Barden!« rief Kit boshaft grinsend. »Wenn du von ihr verlangtest, in einen Löwenkäfig zu gehen, würde sie es ohne Zögern tun. Das wäre ja auch eine Kleinigkeit, nachdem sie Fräulein Cameron in ihrer Höhle entgegengetreten ist.«
»Susy hat vollkommen richtig gehandelt«, entgegnete Connie. »Wenn Anni Meyer sich von der Einbildung befreit, eine Maus zu sein, kann
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