Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
weiblich. Man weiß nie so recht, was einen dort erwartet. Aber ernsthaft, Susanne, da ist ein alter Mann, Dr. Carlsons Patient. Er liegt im Narkosezimmer und ist ganz trübselig. Vielleicht könnten Sie ihn ein wenig aufmuntern. Sie verstehen so etwas.«
Susys Gesicht erhellte sich. Hier war eine Aufgabe für sie. »Natürlich. Vielen Dank, daß Sie es mir gesagt haben. Ich gehe sofort zu ihm.« Sie eilte davon.
Dr. Barry blieb reglos stehen, die Hände in den Taschen seines Kittels vergraben, während seine Augen der schlanken Gestalt mit dem roten Schopf folgten. Als sie verschwunden war, ließ er die Schultern hängen und ging mit müden Schritten ins Laboratorium zurück. Plötzlich sah er erschöpft und mutlos aus.
Im Narkosezimmer angelangt, überflog Susy zunächst einmal die Fiebertabelle des Patienten. Dann sagte sie: »Guten Morgen, Herr Tait.«
Auf dem Bett entstand eine leise Bewegung. »Guten Morgen, Schwester. Ist es schon soweit?«
»Nein, noch nicht«, antwortete sie sanft und ging näher ans Bett. Ihre Augen glitten mitleidig über den schmächtigen Körper unter der weißen Decke, über das wächserne, zerfurchte Gesicht mit dem kleinen grauen Schnurrbart, über das weiße Haar. Aus der Tabelle hatte Susy ersehen, daß Herr Tait 60 Jahre alt war. Er sah jedoch wie siebzig aus. Seine Augen klammerten sich an Susys Gesicht, während er es vermied, auf die unpersönlichen weißen Wände und den Narkoseapparat in der Ecke zu sehen. »Es ist noch nicht soweit?« Susy schüttelte den Kopf. »Das Warten macht Sie wohl nervös?«
»Ja, ein bißchen.« Sein grauer Schnurrbart zitterte leicht, als er den kläglichen Versuch machte, unbekümmert zu lächeln. »Ich weiß ja nicht, wie das hier ausgehen wird«, fuhr er fort. »Es hat zwar nicht viel zu sagen, aber .« Er stockte.
»Aber?«
»Ach, ich bin hier so schrecklich allein. Ein Mensch in meiner Lage braucht jemand, der sich ein bißchen um ihn kümmert.«
»Haben Sie keine Angehörigen?«
»Ich habe eine Tochter. Sie ist in Californien verheiratet. Ich wollte sie nicht beunruhigen und habe ihr deshalb nichts von der Sache hier geschrieben. Vielleicht - wenn ich vorher gewußt hätte, wie das ist, wäre ich weich geworden und hätte es ihr doch mitgeteilt. Vielleicht aber auch nicht. Sie hängt sehr an mir.«
Seine Tochter wußte nicht, daß er operiert wurde. Und er sehnte sich nach ihr. Er sehnte sich nach jemand, der sich um ihn sorgte. Susy stellte sich vor, daß er ihr Vater wäre, ihr lieber Vater, allein, in Angst und voller Sehnsucht nach ihr.
Ihre warme kräftige Hand schloß sich um die von Herrn Tait. Ihre Augen waren feucht geworden.
»Sie Ärmster! Wie leid tut es mir, daß Sie so verlassen sind! Würden Sie mir erlauben — Ich meine - ich möchte gern - den Platz Ihrer Tochter einnehmen, solange Sie hier sind. Ich - es hört sich ein wenig sonderbar an, da ich Sie ja eben erst kennengelernt habe. Aber - glauben Sie mir, ich nehme großen Anteil an Ihrem Schicksal.«
Herrn Taits kluge alte Augen lasen in ihrem Gesicht - fragend, erleichtert, gerührt.
»Ich glaube Ihnen, Schwester«, sagte er. Sein Schnurrbart zitterte wieder ein wenig. »Wenn ich noch eine zweite Tochter hätte, wäre es hübsch, wenn Sie es wären. Es ist sehr, sehr nett von Ihnen, so freundlich zu einem alten Mann zu sein.«
»Ich bin gar nicht freundlich, sondern sagte nur das, was ich fühle. Ich werde bei Ihrer Operation helfen, also die ganze Zeit über bei Ihnen sein - auch wenn Sie schlafen. Vielleicht kann ich es so einrichten, daß ich auch bei Ihnen bin, wenn Sie aufwachen. Würde Sie das freuen?«
»Das wäre sehr schön. Ich fühle mich schon jetzt viel besser.« Seine hellblauen Augen sahen sie bittend an. »Werden Sie auch wirklich die ganze Zeit über bei mir bleiben?«
»Ich verspreche es Ihnen.«
Die Augen des Alten wurden feucht. »Ihr Vater ist gewiß sehr stolz auf Sie, Schwester.«
»Ich hoffe, daß er es eines Tages sein wird«, antwortete sie einfach.
»Wie heißen Sie?«
Sie nannte ihren Namen.
»Susanne Barden«, wiederholte er langsam. »Den Namen werde ich nicht so bald wieder vergessen.«
»Und Sie fühlen sich nicht mehr verlassen?«
Er schüttelte den Kopf.
Mit einem Lächeln erhob Susy grüßend die Hand. Das Lächeln war für Herrn Tait, der Gruß galt seiner Tochter im fernen Californien. »Ich muß Sie jetzt für kurze Zeit verlassen. Haben Sie Angst vor der Narkose?«
»Nein, jetzt nicht mehr.«
Susy verließ
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