Susanne Barden 02 Zeig, was du kannst
meiner Klasse gehen am ersten Januar zur Johannes-Klinik. Sicherlich werde ich auch dabei sein.«
»Wollen Sie Säuglingsschwester werden?«
Susy schüttelte den Kopf. »Ich denke mir die Arbeit sehr schön, möchte sie aber nicht beruflich ausüben.«
»Nun, dann kommt das auch nicht in Frage.«
Die Unterhaltung mit Fräulein Waring erzielte also kein Resultat. Aber die von ihr angedeutete Möglichkeit einer Laufbahn als Stationsschwester ging Susy durch den Kopf. Sie sprach abends mit Kit und Connie darüber.
»Vielleicht hat sie recht«, meinte Kit, »vorausgesetzt, daß die Schulleitung dich zur Oberschwester macht. Stationsschwester würde ich auch gern werden. Erst im Operationssaal ist mir klargeworden, wie sehr mir das Organisieren liegt.«
»Und du, Connie?« fragte Susy.
Connie überraschte die beiden mit der Eröffnung, daß sie Narkoseschwester werden wollte.
»Ich bin ganz versessen darauf. Ich glaube, ich bin ein Individualist. Ich finde es wunderbar, wie zurückgezogen und unbemerkt die Narkoseschwester auf ihrem Platz sitzt, obwohl doch eigentlich alles von ihr abhängt. Und jeder Fall ist anders, wie viele es auch sein mögen. Man muß eine Art sechsten Sinn bei dieser Arbeit haben. Auf jeden Fall bin ich heute zur Schulleitung gegangen und habe darum gebeten, einen Sonderkursus in Narkose machen zu dürfen. Es ist ...«
Connie schwelgte weiter und ließ ihrer Begeisterung freien Lauf - die kleine Connie, die sich so sehr vor dem Operationssaal gefürchtet hatte -, bis Kit spöttisch zu Susy sagte:
»Falls du es gern wissen möchtest, Connie will Narkoseschwester werden.«
Connie lachte. Das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu, vor allem der Frage, was sie zu dem Ball der Hausärzte am Weihnachtsabend anziehen sollten. Es waren noch drei Wochen bis Weihnachten, aber Kit meinte, es wäre niemals zu früh, die Kleiderfrage zu besprechen. Während sie sich mit diesem angenehmen Thema beschäftigten, vergaß Susy ihre Probleme.
Sie hatte recht mit ihrer Vermutung gehabt. Nach einer Woche teilte die Schulleitung ihr mit, daß sie am ersten Januar zur JohannesKlinik gehen sollte.
»Bis dahin möchte ich Sie noch im Operationssaal lassen«, sagte Fräulein Mason. »Dr. Carlson hat ausdrücklich darum gebeten.«
Das war eine Auszeichnung, und Susy freute sich darüber. Solange sie mit Dr. Carlson zusammenarbeitete, würde alles gutgehen. Getrost bereitete sie sich auf einen weiteren Monat im Operationssaal vor. Ein Monat war eine lange Zeit, wenn man ihn mit Sorgen verbrachte. Warum sich also Sorgen machen?
Unterdessen hatte der Winter begonnen. Aus dem bleigrauen Himmel fielen die ersten leichten Schneeflocken. Langsam schwebten sie durch die Luft und deckten Häuser und Rasenflächen allmählich mit einer weißen Decke zu. In den Krankensälen herrschte bereits geschäftiges vorweihnachtliches Treiben. Diesmal nahm Susy nicht daran teil. Weihnachten ohne Patienten würde recht trübselig sein, dachte sie manchmal. Sie machte jetzt keinen Stationsdienst mehr.
Die Geräusche in den Straßen der Stadt klangen winterlich. Da war das gedämpfte Sausen der Wagen auf den schneebedeckten Straßen und das Schlagen der Schneeketten, das dünne Klagen der Pfeifen von den Ständen, wo heiße Kastanien verkauft wurden, das frostige Bimmeln der Heilsarmeeglocken. Nachts funkelten die Sterne kalt und grün am Himmel. In den Schaufenstern glitzerte Weihnachtsschmuck, flackerten bunte Lichter.
»Hu, ist das kalt draußen!« Mit diesen Worten stürmte Connie an einem Spätnachmittag in Susys Zimmer. Sie war mit Paketen beladen. Ihre Augen glänzten auffallend.
»Du hast etwas erlebt«, sagte Kit, die auf dem Bett lag.
Susy saß in einem Sessel am Fenster und manikürte sich. Neugierig sah sie auf.
»Los, Connie, erzähle!« rief Kit.
Connie lachte, warf ihre Pakete achtlos aufs Bett und sah die beiden strahlend an.
»Ja, ich habe etwas erlebt. Etwas Wunderbares!«
»Was denn?« fragte Kit.
»Der netteste Mann, dem ich jemals begegnet bin, fiel direkt auf mich herauf.«
»Fiel ...«
»Und so etwas gefällt dir?«
»Er war reizend«, sprudelte Connie hervor. »Nicht besonders groß, blond und mit einer Brille. Er glitt auf der Untergrundbahntreppe aus und riß mich mit sich. Wir fielen beide hin. Meine Pakete flogen überall umher. Er entschuldigte sich überschwenglich und gab mir seine Karte. Hier ist sie.« Sie zog eine Visitenkarte aus der Tasche und zeigte sie den Mädchen. Darauf stand
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