Susanne Barden 05 - Jung verheiratet
plötzlich fiel ihr etwas anderes ein. »Es treibt sich allerlei Gesindel in den Bergen herum. Haben Sie unterwegs jemanden getroffen?«
»Nein, keine Seele.«
»Sie haben überhaupt niemanden gesehen?«
»Nein.«
Susy unterdrückte ihre Erregung. »Erzählen Sie mir jetzt die Wahrheit, Fräulein Dittmar!« sagte sie ruhig, aber bestimmt.
»Ich verstehe nicht ...«
»Gestern abend hat es nicht weit von hier einen Erdrutsch gegeben. Ein paar Männer haben von elf bis vier daran gearbeitet, die Straße nach Springdale freizuschaufeln. Sie hätten die Männer sehen müssen, wenn Sie dort gegangen wären.«
Plötzlich war Joans Sicherheit verschwunden. Sie starrte Susy mit großen erschrockenen Augen an, sagte aber nichts.
»Nun?«
Noch immer antwortete Joan nicht.
»Sie haben mich angelogen, weil Sie zu feige sind, die Folgen Ihrer Handlungen auf sich zu nehmen.«
»Ja, ich habe gelogen«, gestand Joan nun. »Ich hatte eine Verabredung und machte den Riegel des Fensters auf, bevor ich fortging. Mein Begleiter brachte mich mit seinem Wagen über die obere Straße zum Krankenhaus zurück. Aber ich habe nicht aus Feigheit gelogen! Ich mache mir nichts daraus, bestraft zu werden.«
»Warum haben Sie mir dann nicht gleich die Wahrheit gesagt?«
Joans Gesicht wurde trotzig. »Weil ich weiß, daß man hier kein Verständnis für mich hat.« Verwirrt hielt sie inne, als sie bemerkte, daß Susy belustigt lächelte.
»Junge Menschen halten sich immer für unverstanden. Die meisten Schülerinnen sind fest überzeugt, daß Vorschriften nur dazu gemacht werden, um sie zu quälen, und daß die Leiterin eine besondere Abneigung gegen sie hat. Wenn Sie etwas älter sind, werden Sie anders denken und sich nicht mehr so furchtbar wichtig vorkommen.«
Joan errötete. In ihren Augen blitzte fast etwas wie Bewunderung auf.
»Einstweilen entziehe ich Ihnen die Erlaubnis, abends auszugehen. Das ist eine leichte Strafe, aber dies ist ja Ihr erstes Vergehen, und da es ziemlich kindisch war, will ich es nicht allzu ernst nehmen.«
Joan schwieg. Offensichtlich ärgerte sie sich maßlos, daß Susy ihr Vergehen kindisch genannt hatte.
»Das ist alles«, sagte Susy abschließend. »Sie können gehen.«
Als Joan das Zimmer verlassen hatte, lächelte Susy. »Wie jung sie noch ist und wie aufgebracht, weil ich ihrer Eitelkeit einen Stoß versetzt habe! Wahrscheinlich glaubt sie, ebenso wie ich früher geglaubt habe, daß das Leben einer Schulleiterin ein einziger Traum von blütenweißen Trachten, Nachmittagstees und unbeschränkter Macht sei.«
Seufzend musterte Susy den Stapel ihrer unerledigten Post und machte sich an die Arbeit.
Nebel
An einem Spätnachmittag suchte Herr Parker, der Pfarrer von Springdale, die Barrys zu Hause auf. Er gehörte dem beratenden Ausschuß des Krankenhauses an und war ein ruhiger angenehmer Mensch.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung!« sagte er, nachdem er Platz genommen hatte. »Ich komme im Auftrage des Komitees, um etwas mit Ihnen zu besprechen.«
Susy und Bill wechselten einen Blick und machten sich auf etwas
Unangenehmes gefaßt.
»Wie wir erfahren haben, soll in Springdale eine Bar für Wintersportler, >Zum lustigen Skihasen< eröffnet werden«, fuhr Herr Parker fort. »Das wird wohl kein Lokal sein, in das ich meine Mutter führen möchte, obwohl es ihr wahrscheinlich sehr viel Spaß machen würde. Meine Mutter ist manchmal ... Aber ich schweife ab.« Er erklärte, das neue Lokal stehe unter derselben Verwaltung wie eine ziemlich berüchtigte Bar in einem anderen Gebirgsort. Der Ausschuß sei der Meinung, daß man den Schülerinnen der Schwesternschule verbieten solle, dorthin zu gehen.
Susy stimmte ihm sofort zu. »Wann soll die Bar eröffnet werden?«
»Schon sehr bald. Das genaue Datum weiß ich leider nicht.«
»Ich werde es morgen meinen Schülerinnen sagen«, versprach Su-
s y.
Nachdem der Pfarrer gegangen war, meinte Bill skeptisch: »Glaubst du, daß ein Verbot deine Schäfchen davon abhalten wird, die Kneipe aufzusuchen?«
»Aber natürlich!«
»Na, ich weiß ja nicht, wie junge Mädchen sind. Ich jedenfalls habe jetzt, da es verboten werden soll, den brennenden Wunsch hinzugehen, und zwar recht bald.«
Susy lachte. »Na, dir ist es ja nicht verboten.«
Als sie ihren Schülerinnen am nächsten Tag eröffnete, daß sie den »Lustigen Skihasen« zu meiden hätten, beobachtete sie ihre Gesichter. Einige leuchteten neugierig auf, die meisten blieben jedoch
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