Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
Wunder, dass sie das Bedürfnis gehabt hatte, sich mitten in der Woche einen Tag freizunehmen. Endlich mal das Haus für sich allein zu haben, ohne Tom und seine düstere Laune, die er überallhin mit sich schleifte wie
eine staubige Decke. Ja, je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr kam es ihr vor, dass im Grunde Tom für den Verlust des Verlobungsrings verantwortlich war. Wenn er nicht eine so trübe Tasse wäre, hätte sie sich nie mitten in der Woche frei nehmen müssen, bloß um ein wenig Zeit für sich zu haben, und das wiederum bedeutete, dass es ihr nie in den Sinn gekommen wäre, den Ring zu putzen und, wie sie triumphierend schloss, ihn demnach auch nie verloren hätte.
»Schaffst du das denn überhaupt?«, erkundigte sich Tom unversehens und riss sie aus ihrem inneren Dialog.
»Was meinst du?«, fragte Daisy schuldbewusst. Konnte er etwa Gedanken lesen?
»Ich sprach von dem Essen bei meinen Eltern, heute Abend«, erklärte er geduldig.
»Ach, na klar«, entgegnete Daisy schulterzuckend. »Außerdem ist es Barrys Geburtstag.«
Barry war Toms jüngerer Bruder. Er hatte mit Termingeschäften zu tun und war so ziemlich der langweiligste Mensch auf diesem Planeten mit der enervierenden Angewohnheit, sich in endlosen Neben- und Nachsätzen zu ergehen, wo ein Satz völlig genügt hätte. Seit dem letzten Jahr kam er nun regelmäßig einmal pro Woche vorbei, um mit Tom Schach zu spielen. Wahrscheinlich, dachte Daisy gehässig, war seine Freundin Angela, die verschüchterte graue Maus, ganz froh, die gemeinsame Wohnung ab und zu allein zu genießen. Da konnte sie dann zur Abwechslung mal was Interessantes machen, wie die Medikamentenschachteln aus ihren Kitteln räumen.
Daisy trank ihr Glas aus und stemmte sich widerwillig aus dem Sessel. »Hast du die Karte schon unterschrieben?«
Tom schüttelte den Kopf.
»Na gut, dann tust du’s eben unterwegs. Wir kommen sowieso schon zu spät.«
Eine halbe Stunde danach fuhren sie über die Sydney Harbour Bridge und genossen den Ausblick auf die vielen Lichter auf dem Wasser unter ihnen und den halbmondförmigen Schein des Opernhauses weiter hinten.
»Ich hoffe bloß, ihm gefällt das Hemd«, bemerkte Daisy nervös. Sie war mit halbem Ohr beim Radio, wo gerade ein ihr unbekannter Song mit dem Hintergrundrefrain ›You got to keep them separated‹ lief. Alarmiert fragte sie sich, ob damit sie und Tom und ihre Ehe gemeint sein könnten. Oder bezog sich das Lied eher auf den bevorstehenden Besuch bei der lieben Mischpoche?
»Ach, sicher wird ihm das Hemd gefallen. Barry ist es egal, was er anzieht«, antwortete Tom zerstreut. Er fragte sich, ob seine Mutter merken würde, dass Daisy ihren Verlobungsring nicht trug, und wenn ja, was sie wohl dazu sagen würde. Zu viel, wenn er sie richtig einschätzte.
»Soll mich das vielleicht trösten?«, fauchte Daisy.
»Du weißt schon, was ich meine«, seufzte Tom. »Ich meine, was immer du auch kaufst, findet Barry doch schön. Und bestimmt ist das Hemd ganz toll.«
»Ich wünschte bloß, ich hätte auch ein paar Geschwister. Dann könnte ich dich zwingen, Geschenke für sie zu kaufen.«
»Aber ich zwinge dich doch nicht.«
»Ha! Wenn ich’s nicht mache, tut’s keiner.«
»Vor unserer Ehe habe ich’s doch auch gemacht.«
»Ach, wirklich?«
»Glaube ich wenigstens.«
Danach herrschte Stille. Daisy freute sich nicht gerade auf diesen Abend bei seinen Eltern. Patricia war schon an Daisys guten Tagen schwer zu ertragen. Sicher würde sie Daisy fragen, ob sie denn das Spargel-Soufflé ausprobiert hätte, dessen Rezept sie letztes Mal unbedingt haben wollte. Daisy hatte nur aus Höflichkeit gefragt – sie dachte nicht im
Traum daran, sich an etwas derart Einschüchterndes wie ein Soufflé zu wagen. Und was immer Barry von dem Hemd halten mochte, Patricia würde sicher, auf ihre unnachahmlich subtile Weise, etwas daran zu kritteln finden – in der Art von: »Ach, was für eine hübsche Farbe – kanariengelb. Schade, dass man als Mann so was nicht ins Büro anziehen kann … aber wer weiß – die Mode ändert sich heutzutage ja so schnell!« Oder »Du lieber Himmel, was für ein praktisches Hemd! Da hat man was im Schrank, falls einem die guten Sachen ausgehen.« Und ganz bestimmt nahm sie Daisys Aufmachung scheeläugig zur Kenntnis – Capri-Leggins und ein riesiges T-Shirt mit bedruckten Palmen drauf. Patricia war der Ansicht, dass man sich zu einer Einladung anständig anziehen sollte.
Punkt 19:40 parkten
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