Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
Zunge. Die Kellnerinnen schlurften ungeschickt in Sandalen und Kimonos herum, und jedes Mal, wenn Neuankömmlinge das Restaurant betraten, rief die versammelte Belegschaft etwas, das wie ›Massi-Masser!‹ klang. Da in dem Lokal ein reges Kommen und Gehen herrschte, schien die Luft von zwitschernden Massis erfüllt. Carmen, Doris und Daisy hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, immer getrennt einzutreffen, damit auch jede ihr ›Massi-Masser!‹ bekam.
Hinter Daisy lag ein langer, ermüdender Büronachmittag, den sie mit dem Beantworten diverser Schreiben verbracht hatte. Des Weiteren musste sie Teagan erklären, warum es keine so gute Idee wäre, Samantha Perkin in den Playboy zu bringen. Selbst wenn es Sharon Stone und Pamela Anderson den Durchbruch beschert hatte. Auch war sie ein wenig verdrossen, weil Tom sie nicht, wie fast jeden Tag, auf einen kurzen Plausch im Büro angerufen hatte. Vielleicht schmollte er. Oder er dachte, sie schmollte. Oder vielleicht saß er ja nur in einem von seinen höllischen Meetings fest. Daisy fand schon ihre Meetings grässlich, doch waren sie nichts im Vergleich
zu dem, was Tom erduldete. In seiner Firma dauerten die Meetings manchmal vom Frühstück bis zum Abendessen. Wahrscheinlich hielten sie dort auch Meetings ab, um zu entscheiden, wann das nächste Meeting stattfinden und welche Art Frühstücksflocken dabei serviert werden sollten. Die ganze Welt schien auf einmal Meeting-verrückt geworden zu sein. Neulich hatte sie bei der Frau angerufen, bei der sie ihre Bikinizonenrasur machen ließ und hatte die Auskunft bekommen, dass sie nicht ans Telefon kommen könne, weil sie gerade in einem Meeting wäre. Ob die Wirtschaft eines Tages zu einem knirschenden Stillstand käme, weil alle Welt in irgendeinem Meeting hockte?
»Aber das liegt doch auf der Hand«, verkündete Carmen und angelte sich schamlos das letzte Lachsröllchen – die Sorte mit Lachs mochten alle am liebsten. »Niemand, der einigermaßen bei Verstand ist, wird ernsthaft glauben, man könnte menschliche Beziehungen durch Eiscreme ersetzen.«
Doris grinste. Carmen war eine derart inbrünstige Verfechterin des Konzepts ›Familie‹, dass sie in die Politik hätte gehen können. »Nein, du natürlich nicht, du Eheweib und Muttertier! Aber den Rest von uns könnte es durchaus überzeugen. Tolles Eis ist immer noch besser als eine grässliche Beziehung. Ein gerechter Tausch, finde ich.«
»Sollte man nicht besser an seinen Beziehungen feilen?« »Dazu gehören immer zwei«, erwiderte Doris prompt. »Du kannst deine Beziehung aufmotzen, bis du schwarz bist – aber das hilft dir nichts, wenn dein Typ nicht mitmacht.«
Es war ein heikles Thema, denn der ›Typ‹, mit dem Doris zehn Jahre lang zusammengelebt hatte, hatte eines Tages einen Koffer gepackt und war ausgezogen. Noch dazu mit Doris’ Koffer, einem Weihnachtsgeschenk von ihren Eltern und fast im Neuzustand. Hastig schlug Carmen eine andere Richtung ein.
»Und deine Meinung, Daisy?«, erkundigte sie sich.
Daisy wusste sehr genau, dass die Frage nur ein Ablenkungsmanöver darstellte. Wenn man Doris nicht von der kurvenreichen Straße all der Männer, die ihren Koffern Unrecht zugefügt hatten, herunterholte, dann saßen sie noch in diesem Restaurant, wenn der Sushi-Chef längst auf einen abendlichen Big Mac verschwunden war. Sie nahm die Weinflasche, um ihre Gläser nachzufüllen. »Ich weiß nicht. Vielleicht sollte man ja beides haben. Eiscreme und eine tolle Beziehung.«
»Da spricht wieder mal die Optimistin«, schnaubte Doris.
»Die muss es auch geben«, entgegnete Daisy.
Sie grinsten, plötzlich wieder vereint – »Die drei Stooges«, wie sie sich auf der Uni immer genannt hatten.
Doris, Carmen und Daisy hatten sich bei der Orientierungswoche an der Melbourne University kennen gelernt, als sie alle jung, arrogant und schrecklich nervös waren. Daisy wusste noch genau, wie sie damals auf dem Parkplatz herumgelaufen war, zwischen den schmutzig-weißen Zeltpavillons, wo Studentengruppen die naiven Neuankömmlinge zum Beitritt in alle möglichen Verbindungen, von den ›Jungen Liberalen‹ bis zum ›Club der Bierschlucker‹, zu bewegen versuchten. Daisy, die direkt aus einem Mädcheninternat kam, war von all der Geschäftigkeit und Aufregung hingerissen gewesen. Ganz zu schweigen von den langhaarigen jungen Männern in den speckigen schwarzen Jacken.
Am Ende schloss sie sich den ›Anonymen Schokoholikern‹ an, einfach weil sie sie originell
Weitere Kostenlose Bücher