Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
fand und sich jede Menge Spaß davon versprach – was sich jedoch als Irrtum entpuppte: Die Schokoholiker waren einfach nur dröge. Aber zumindest traf sie gleich bei der ersten Versammlung – einer wahren Schokoladenorgie, die, damit sie einem nicht im Hals stecken blieb, mit jeder Menge billigem Weißwein aus Korbflaschen runtergespült wurde – Carmen und Doris.
Sie studierten alle etwas anderes – Daisy Kunst, Carmen Physiotherapie und Doris irgendwas Naturwissenschaftliches; aber sie wurden auf Anhieb Freundinnen, obwohl sie sich anfangs fast wegen dem, was noch von einer Jumbo-Blockschokolade, Sorte Trauben-Nuss, übrig geblieben war, in die Haare gekriegt hätten. Carmen gewann die Schlacht, doch nur, weil sie einen so unschuldig aussehenden Haarreif auf dem Blondhaar trug und so fantastisch höflich war, dass Doris und Daisy sich praktisch gezwungen sahen, das Feld zu räumen.
Ihre Freundschaft überdauerte Examen, Männerbeziehungen sowie unzählige Referate, die noch auf tragbaren Schreibmaschinen getippt werden mussten, mühsam korrigiert mit flüssigem Tipp-Ex. Die Studenten hatten es da heute, im Zeitalter der Computer, schon bedeutend leichter, fand Daisy. Obwohl: Es gibt nichts, was der Kameradschaft förderlicher ist als ein endloser Nachmittag in einer unordentlichen Studentenbude mit zwei Freundinnen und dem einträchtigen Einhacken auf die Schreibmaschinen, wobei alle fünf Minuten wild geflucht wurde, weil man sich schon wieder vertippt hatte. Noch heute wurde Daisy ganz wehmütig ums Herz, wenn sie altmodisches Maschinengeklapper hörte. Dabei musste sie unwillkürlich an lange, arbeitsreiche Nächte mit getoasteten Käsesandwichs und Gläsern mit crème de menthe denken, die sie immer als Nachspeise verzehrt hatten und bei denen sie sich so herrlich blasiert vorgekommen waren.
Nach dem Ende des Studiums sah es eine Zeit lang so aus, als würden die drei Stooges sich langsam aber sicher aus den Augen verlieren. Vor allem, als Daisy nach Sydney zog.
Carmen, mit ihrem mütterlichen Busen und den Apfelbäckchen – die anderen zogen sie immer damit auf, dass sie in einer Werbung für Backmischungen auftreten könnte – heiratete ihren Jugendfreund aus Highschool-Tagen. Sie
schien an Johns Seite, einem Autoverkäufer, wunschlos glücklich zu sein, und arbeitete selbst als Physiotherapeutin in Teilzeit. Denn inzwischen kamen auch Kinder, erst ein Mädchen, dann ein Junge, ganz wie geplant.
Doris brach ihr Studium, zum Schrecken ihrer Eltern, griechische Einwanderer der zweiten Generation, nach zwei Jahren ab. Sie verkündete, sie wolle Modedesignerin werden und würde zu diesem Zweck erst mal in den Einzelhandel gehen – mit anderen Worten: als Verkäuferin arbeiten. Die Panik wuchs, als sie obendrein mit einem Mann zusammenzog und sozusagen in wilder Ehe lebte. Ihr Vater war derart außer sich, dass er Doris nie wieder in seinem Haus sehen wollte. Daraufhin konnte Doris jahrelang den Kontakt zu ihrer Mutter nur durch heimliche Treffen in der Mittagspause in dem Einkaufszentrum, in dem sie als Boutiquen-Verkäuferin arbeitete, aufrechterhalten. Ihr Vater lenkte schließlich ein, doch nicht bevor die zwei älteren Schwestern von Doris längst geheiratet und insgesamt acht Stammhalter produziert hatten. Vielleicht fühlte er sich ja jetzt, mit acht Enkeln, sicher genug, um es mit dem schwarzen Schaf der Familie nicht mehr ganz so tragisch zu nehmen.
Seltsam war nur, dass Doris und Carmen in etwa zur selben Zeit in die sprichwörtliche Midlifecrises gerieten. Bei Carmen fing es damit an, dass John verkündete, er hätte eine Stelle bei einer Bank in Sydney bekommen und wolle nun plus Familie in den Norden ziehen. Für Carmen war das ein Schock: Ihr ganzer Bekanntenkreis, alles, befand sich in Melbourne. Gar nicht zu reden von ihrem Frisör, ihrem Gynäkologen, einem Automechaniker, dem sie vertrauen konnte, und ihren liebsten Hundeparks. Es graute ihr, von hier wegzuziehen. Doch sie wusste auch, dass John schon seit Jahren etwas anderes suchte und ihm die Arbeit als Autoverkäufer keine Freude machte, egal, wie viel er verdiente. Er war so rührend stolz auf dieses Angebot bei der
Bank, dass sie einfach nicht das Herz hatte, ihm zu sagen, wie schlimm sie den Umzug fand.
Also wurde das Haus in Frenchs Forest gekauft, die Kinder auf eine neue Schule in Sydney geschickt, und den ehrlichen Automechaniker ließ man zurück, obwohl er das letzte noch lebende Exemplar einer aussterbenden Rasse war.
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