Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
schließt«, sagte sie verträumt. »Neulich, als ich morgens aufwachte, hatte ich auf einmal Schmerzen im rechten Knie und ich dachte, ups, da hast du dich irgendwie in der Nacht falsch gedreht. Aber mein Arzt sagt, es ist Arthritis. Lächerlich, oder? Arthritis kriegen doch nur alte Leute. Sag bloß nicht, ich werde alt, dachte ich mir. Trete in die Wintersaison ein. Wer hätte das gedacht?«
»Du bist nicht alt«, widersprach Daisy energisch. »Alt wird man erst so ab siebzig.«
Marie schluckte und griff nach ihrer Tasse. »Erzähl das mal meinen Knien. Die haben die modernen Zeiten noch nicht begriffen.« Sie nippte an ihrem Tee und schnitt eine Grimasse.
»Du hast Milch und Zucker vergessen«, erinnerte Nell sie.
»Ah, ja«, sagte Marie abwesend und blickte sich zerstreut um, als könnten sich Milch und Zucker auf dem Bord zwischen den Blümchentellern verstecken oder im Korb auf der Waschmaschine. Ohne mit der Wimper zu zucken, griff Nell nach Milch und Zucker, die bereits auf dem Tisch standen und reicherte die Tasse ihrer Schwester mit ein bisschen von jedem an.
»Mir ist egal, was deine Knie sagen, Tantchen«, fuhr Daisy fort. »Du bist nicht alt. Und Mama und Rob auch nicht. Ich schätze, diese Sache hätte jederzeit passieren können.«
Marie blickte blinzelnd auf. »Sicher, Schätzchen, aber wir gehen alle mal aus dem Leim. Irgendwann ist die Schicht im Schacht, Schicksal! Und wie geht’s deinem netten Tom, diesem großen Prachtstück!«
Daisy nahm sich noch einen Keks. »Sehr gut, danke. Scheint endlich über das Fiasko mit der Datumsumstellung wegzukommen. Jetzt begeistert er sich für den e-commerce .«
»Computer«, schnaubte Marie. »Ich werde sie nie verstehen. Wieso jemand herumsitzen und stundenlang auf eine Tastatur einhacken kann, wo man doch etwas Sinnvolles machen könnte, wie im Regen tanzen oder über eine Blumenwiese wandern oder ins schöne Venedig reisen – dort auf einer Brücke stehen und zusehen, wie dieser herrliche Ort langsam versinkt. Aber die jungen Leute von heute verstehen das nicht. Ich versuche, es meinen Jungs klar zu machen, aber sie verdrehen bloß die Augen. Bald haben sie wegen dieser Computer keine Augen mehr, die sie verdrehen können. Du solltest deinen Tom von den Computern loseisen, dann hat er mehr Zeit für dich!«
Abermals gähnte sie. »Tut mir Leid, ihr Lieben. Aber ich muss einfach ins Bett. Ich habe einen furchtbar anstrengenden Tag hinter mir – es ging um die Auswahl der Kostüme für Pippin . Also wirklich, es gibt Menschen, die überall Probleme wittern.««
»Ist das das neue Stück?«, erkundigte sich Daisy.
»Ja, Schätzchen, eine Art Rockmusical, herrlich, nicht wahr? ›We’ve got magic to do, just for you‹.« Sie sang noch ein paar Zeilen mehr. »Ich glaube, es wird wirklich wundervoll, einfach wundervoll. Aber dieses Weib, das für die Kostüme verantwortlich ist, könnte nicht mal einen Trupp Polizistinnen einkleiden, geschweige denn eine Theatergruppe. Sie besitzt die Fantasie eines Frettchens. Daisy, such dir irgendein Zimmer, egal welches, und fühl dich wie zu Hause. Ist so schön, dich da zu haben!«
Sie drückte eine gepuderte Wange an Daisys, wobei sie eine Wolke von ›Tabu‹-Parfüm verströmte. So weit Daisy zurückdenken konnte, benutzte Marie Tabu.
Als sie davongeschwebt war, blickten sich Nell und Daisy über den Tisch hinweg an. Im grellen Licht der Leuchtstoffröhren wirkte Nells Gesicht gelb und eingefallen.
»Bist du sicher, dass du das schaffst, Mama?«, erkundigte Daisy sich mitfühlend.
»Jetzt schon. Zuvor nicht. Als sie mir sagten, dass seine Nieren aufgehört hätten zu funktionieren, da dachte ich, mir bleibt das Herz stehen. Wir wären nie auf den Gedanken gekommen, dass es so ernst sein könnte.« Nell verkrampfte ihre am Tisch liegenden Hände. »Aber seit der Dialyse bin ich wieder zuversichtlich.«
Daisy nickte. »Wir gehen besser auch ins Bett. In welchem Zimmer schläfst du?«
»In Michaels.«
»Gut, dann nehme ich Davids. Und morgen verschönern wir Dad seinen Aufenthalt.«
Nell schenkte ihr ein müdes Lächeln. »Wenn’s dir wichtig erscheint …«
Daisy senkte den Blick auf ihre Hände. »Ich halte es einfach nicht aus, ihn so zu sehen – wie irgendeinen alten Mann in einem Krankenhaus. Das ist er nicht. Er ist Rob – ein Farmer.
Ein lebenssprühender, aktiver, viel beschäftigter Mann!«
Stille senkte sich über die beiden, dann flüsterte Nell sehnsüchtig: »Ach ja, die
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