Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
lagen. Hier und dort drang das Geräusch eines Fernsehers an ihr Ohr – meist die Abendnachrichten, und Schwestern in grünen Uniformen schoben Wagen voller Essenstabletts vorbei.
Endlich fand sie die richtige Station und erfuhr, dass Rob Mason auf Zimmer 14B lag. Nach einem kurzen Halt an der Tür, um tief Luft zu holen und ein wenig ruhiger zu werden, warf sie einen Blick hinein und sah ihre Eltern auf der anderen Seite des Raums in der Nähe eines blinden, vorhanglosen Fensters. Einen Moment lang betrachtete sie sie mit den Augen einer Fremden. Rob, der ein Flügelhemd trug, das auf dem Rücken zusammengebunden war, aß gerade zu Abend; ohne Begeisterung löffelte er einen Khakimatsch in sich hinein. Das Flügelhemd und dieses Zimmer ließen ihn irgendwie lächerlich aussehen, und er wirkte noch dünner, ja förmlich eingesunken, die graublonden Haare flach angedrückt wie bei einem Greis. Gelegentlich fiel ihm ein Bissen von der Gabel, ohne dass er es zu merken schien. Er sah – uralt aus.
Nell, die auf einem Stuhl neben seinem Bett saß, las ihm laut aus der Tageszeitung vor. Daisy, immer noch mit dem distanzierten Blick einer Fremden, stellte erstaunt fest, dass auch sie sich verändert hatte. Sie trug einen Blümchenrock, dazu ihren rosa Pulli und die falsche Perlenkette – ein Outfit, das Daisy immer mit dem Kirchenbesuch assoziierte, bloß dass sie diesmal unaufhörlich an ihrer Perlenkette herumzupfte. Das kurze Haar hatte sie streng aus dem Gesicht gekämmt, was die tiefen Falten, die von der Nase zu den Mundwinkeln verliefen, besonders hervorhob. Sie blickte auf und machte eine Bemerkung über das, was sie gerade vorlas; doch Rob aß beflissen weiter, ohne zu reagieren.
Daisy biss die Zähne zusammen, trat ein und stellte ihren Koffer mit einem Plumps neben die Tür.
»Das riecht ja hier nach Krankenhaus«, verkündete sie mit gekünstelter Fröhlichkeit.
»Schätzchen!« Nell sprang auf und umarmte sie stürmisch.
Anschließend schritt Daisy über den grauen Linoleumboden zu dem hohen Metallbett, beugte sich über Rob und küsste ihn auf eine stoppelige Wange.
»Grüß dich, Dad. Was hast du bloß angestellt?«
Rob schnitt eine Grimasse. »War nicht geplant.«
Nachdem sie ein paar Bemerkungen ausgetauscht hatten, blickte sich Daisy im Zimmer um. Zwei Betten waren leer, ein anderes trennte ein grüner Vorhang ab. Es sah hier öd und freudlos aus, wie in einer Wartehalle. Und zwar die Art, wo jemand in die Ecke uriniert hatte. Daisy fand, dass man in solchen vier Wänden wohl kaum gesund werden konnte; es diente lediglich als Durchgangsschleuse für all die ausgemergelten Gestalten in ihren abscheulichen Morgenmänteln. Als sie sich zu Rob und Nell setzte, dachte sie, wenn ich doch nur diese Unterbringung ein wenig aufheitern könnte, dann würde es Rob vielleicht gleich etwas besser gehen. Dann wäre er wieder der Mann, den ich erst vor ein paar Wochen auf der Farm gesehen habe.
»Ich habe eine Idee«, verkündete sie. »Hier gehören ein paar Blumen und Topfpflanzen her. Heitert alles etwas auf. Und musst du wirklich dieses Nachthemd tragen, Dad?« Sie blickte Nell an. »Kann er nicht allmählich seine eigenen Pyjamas anziehen?«
Nell zuckte die Schultern. »So ist es leichter für die Schwestern, ihn zu versorgen.«
»Andauernd wollen sie mir was reinstechen oder rausziehen«, grummelte Rob.
»Ich finde, wir sollten die Schwestern fragen, ob sie was dagegen haben«, sagte Daisy lebhaft. »Mit was Anständigem am Leib geht’s ihm bestimmt besser. Und vielleicht besorge
ich auch noch eine Duftlampe«, fügte sie hinzu, an St. Benedicts denkend.
»Ich will hier drin nichts von deinem Esoterikzeugs«, warnte Rob.
Daisy warf ihm einen liebevoll-ungeduldigen Blick zu. Sie saß auf der harten Bettkante, weil das Krankenhaus nur einen Besucherstuhl pro Patient vorsah.
»Das ist kein Esoterikzeugs. Oder muss es zumindest nicht sein. Ich will doch nur, dass der Geruch hier drin ein bisschen erträglicher wird. Alles ist besser als der Gestank von gekochter Milch und Desinfektionsmitteln.«
Rob aß fertig; dann holte man, auf Daisys Vorschlag, einen Pack Karten hervor, um five hundred zu spielen, wie früher jeden Sonntag auf der Farm. Um neun begann Rob, unruhige kleine Bewegungen mit der rechten Hand zu vollführen.
»Bist du müde, mein Schatz?«, erkundigte sich Nell und strich ihm über den Kopf.
»Ach, hier kann ich sowieso nicht schlafen. Liege doch bloß die ganze Nacht wach und
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