Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
alle so tun, als wäre nichts geschehen, und dass Rob in einem hübschen Pyjama herumsitzt, sich irgendwelche lustigen Kassetten anhört und sich brav ausruht. Was ich dagegen von dir brauche, ist deine Unterstützung bei Robs Befinden – selbst wenn er sich wie der Tod fühlt. Und das bedeutet auch, es mit seinen Launen auszuhalten – Pech für uns.«
Daisy, die dabei war, ein Schlachtfeld aus ihrer Schnitte zu machen, erkannte, dass ihre Mutter wie immer Recht hatte. Sie konnte nur dergestalt helfen, indem sie Rob so nahm, wie er im Moment war, und die Situation erträglicher für ihn machen, nicht für sich selbst. Aber ihr graute vor dem Gedanken, wieder in dieses trostlose Krankenzimmer zu müssen. Sehnsüchtig dachte sie an ihr eigenes Heim, an die sonnigen Räume und den Salzgeruch vom Meer, der in der Luft lag. Und Tom dürfte am Wochenende seine alte Talking-Heads-CD sogar zum zehnten Mal auflegen …
Sie holte tief Luft. »Ich werd’s versuchen. Aber ich kriege einfach Angst, wenn ich ihn so sehe. In diesem Bett.«
»Genau wie ich«, sagte Nell leise. »Und jetzt gehe ich besser wieder rauf. Er will immer ein Nickerchen machen und dann kann er doch nicht schlafen. Vielleicht braucht er jemanden zum Reden. Was ist mir dir?«
»Ich komme gleich nach.«
»Gut. Und wenn du am Freitag zurückfliegst, nimm die Pyjamas für Tom mit. Wir brauchen sie nicht, wenn wir wieder zu Hause sind.«
Nell nahm ihre Handtasche. »Denn weißt du«, fuhr sie fort, »Rob schläft immer ganz ohne.«
Daisy saß da und starrte so lange in ihren Cappuccino, bis sie sich nicht länger einreden konnte, dass sie die Plörre tatsächlich trinken würde. Außerdem musste auch sie rauf. Als sie aus dem Aufzug trat, hörte Daisy zu ihrem Erstaunen aus
Robs Zimmer etwas, das wie Geschrei klang. Nein, nicht Geschrei – eher so eine Art Gesang. Mit einer düsteren Vorahnung schlich sie sich zur Tür, und als sie um die Ecke spähte, erblickte sie eine bunt zusammengewürfelte Schar von Vorstadthausfrauen und pickeligen Halbwüchsigen, die unter Maries sachkundiger Dirigentschaft Oh It’s Time to Start Living! schmetterten. Marie, gekleidet in einen leuchtend roten Kaftan, schwenkte begeistert die Arme und strahlte vor Stolz. Offenbar hatte sie entschieden, dass ein wenig Musiktherapie durch den versammelten Chor von Pippin das Beste war, um Rob etwas aufzupäppeln.
Daisy, die sich wegen ihrer Feigheit nur wenig schämte, versteckte sich hastig im nächsten Warteraum, bis sie hörte, wie die Dienst habende Stationsschwester, eine besonders furchterregende Fregatte namens Schwester Handy, Marie und ihre Schützlinge aus dem Zimmer warf. Schwester Handy klang sichtlich empört, eine ganz natürliche Reaktion auf die Darbietung – die Proben befanden sich noch im Anfangsstadium. Sie wurde sie schließlich los, als sie drohte, den Sicherheitsdienst zu rufen und die Laienschauspieltruppe mit Gewalt entfernen zu lassen.
Um die Ecke spähend, sah Daisy gerade noch rechtzeitig, wie Marie ihre Schutzbefohlenen um sich scharte und hochmütig davonstolzierte, ähnlich wie in der letzten Szene von Sunset Boulevard – bloß ohne die Knarre.
Als Daisy ins Zimmer kam, saß Rob aufrecht im Bett, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, plötzlich wieder ganz er selber.
»Ich hab sie zum Bleiben gedrängt«, verkündete er aufgeräumt. »Als dieses Schlachtross von Schwester reinkam, hab ich Marie gebeten, mir am besten gleich alles aus Sound of Music vorzusingen.«
»Sicher hätten sich auch ein paar von den anderen darüber gefreut«, warf Nell loyal ein und blickte sich in dem
Vierbettzimmer um, wo die anderen Patienten reglos und stumm unter den leichentuchähnlichen Bettdecken lagen. »Obwohl«, überlegte sie, »mit diesem Chor wird es Marie nicht gerade leicht haben. Na ja, sie liebte ja schon immer Herausforderungen.«
»Allerdings«, musste Rob ihr beipflichten. »Hat sie sich nicht erst letztes Jahr die Hauptrolle in Annie Get Your Gun gegeben?«
Und dann lachten beide einträchtig. Daisy dachte, nicht ohne einen kleinen Stich, dass Maries Chor dritter Klasse mehr bewirkt hatte als all ihre Mühen.
Aber was machte das schon, solange der alte Rob wieder auferstanden war?
11
Behutsam ließ Daisy sich auf ihren Bürostuhl sinken und tätschelte vorsichtig die wunde Stelle auf ihrem Bauch, die von der heutigen Episode mit Tom stammte. Bald schon gäbe es dort keinen Millimeter mehr, der sich nicht anfühlte, als hätte eine Horde
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