Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
meine Liebe«, meinte der Colonel, »haben Sie sich schon ein wenig in die Verve- Familie eingelebt?«
»O ja, sicher. Alle sind unheimlich nett zu mir und haben mich sehr freundlich aufgenommen«, brabbelte Isobel. »Und es ist toll, einmal das Büro gesehen zu haben. Ich meine, ich lese Verve schon seit Jahren, noch bevor Clare hier anfing. Natürlich ist es immer schwer, sich an eine neue Arbeitsumgebung zu gewöhnen. Sie wissen schon, der schlimme erste Tag, wenn man unbedingt aufs Klo muss, sich aber nicht zu fragen traut, und wenn man dann doch geht, sich hinterher verirrt und nicht mehr gleich zurückfindet und stattdessen vor aller Augen die Tür zur Putzkammer aufreißt und sich schrecklich blamiert. Obwohl Sie sich daran wahrscheinlich nicht mehr erinnern, es ist ja schon so lange her …«
Der Teil ihres Gehirns, der noch einigermaßen funktionierte, fragte sich in aufkeimender Panik, ob sie je wieder aufhören könnte zu quasseln. Vielleicht würde man sie und den Colonel erst in zwanzig Jahren hier finden, Hogan aus Altersschwäche gestorben und sie nach wie vor über Klos und Rückwege schwadronierend.
Nach Jahren in einer relativ autoritätsfreien Umgebung (wenn man den Drachen von Kinderkrankenschwester in ihrer Entbindungsklinik nicht mitzählte), war es für Isobel der reinste Albtraum, wieder einen »Boss« zu haben, wenn auch bloß für zwei Wochen. Jedes Mal, wenn der Colonel sie in ihr Büro rief, drohte Isobel vor Nervosität beinahe ohnmächtig zu werden. Sie kam sich vor wie ein unbedarftes Schulmädchen, das wegen irgendetwas, das es ausgefressen hatte, vor die Direktorin zitiert – und geschlachtet – wurde. Dauernd musste sie sich klar machen, dass sie bereits sechsunddreißig Jahre alt war, was Helen Hogan nur einen Altersvorsprung von ungefähr einem halben Jahrhundert verschaffte.
Der Colonel unterbrach gütig ihren Redefluss.
»Ausgezeichnet, ausgezeichnet. Nun, meine Liebe, ich möchte, dass Sie eine kleine Aufgabe für mich übernehmen.«
»Selbstverständlich«, stammelte Isobel.
»Clare hat mir erzählt, dass Sie früher Krankenschwester waren.«
Isobel blinzelte. Das hätte sie am allerwenigsten erwartet. »Äh, ja. Das heißt, ich habe meinen Beruf vor fünf Jahren aufgegeben, als Ellen unterwegs war.«
»Perfekt. Zufälligerweise benötigen wir jemanden, der vorübergehend die Kummerkastenseite übernimmt. ›Liebe Marion‹, Sie wissen schon. Die Dame, die das sonst für uns erledigt, unterzieht sich gerade einer kleinen kosmetischen Operation. Also brauche ich jemanden, der mir die Zuschriften für die kommende Ausgabe beantwortet. Clare habe ich es bereits versuchen lassen, doch es stellte sich heraus, dass ihr diese Seite nicht gerade liegt, wohingegen ich glaube, dass Sie geradezu perfekt wären – eine reife junge Frau, eine Krankenschwester und eine Mutter. Sie können dem Ganzen ruhig einen mütterlichen Touch geben, wenn Sie verstehen, was ich meine«, sagte der Colonel großzügig.
»Ach du liebe Güte.« Isobel rang nach Luft. »Ich wüsste doch überhaupt nicht, was ich sagen sollte.«
»Unsinn, meine Liebe, benutzen Sie einfach Ihren gesunden Menschenverstand. Und natürlich wird das alles nicht unter Ihrem Namen veröffentlicht, also kein Grund zur Sorge.« Der Colonel schenkte ihr nochmals dieses Totenkopflächeln. »Ich bin sicher, Sie werden Ihre Sache ausgezeichnet machen und können dabei gleichzeitig ein wenig in die richtige Arbeit für eine Zeitschrift hineinschnuppern. Reichen Sie Ihre Entwürfe einfach an mich weiter, damit ich ihnen den letzten Schliff geben kann. Ich weiß, Sie werden alles richtig machen. Eintausend Wörter. Bis Mittwoch auf meinem Schreibtisch.«
»Aber Mrs. Hogan …«
»Tut mir Leid, meine Liebe, keine Zeit mehr für ein Schwätzchen. Ich würde ja gern, aber die Arbeit ruft. Und jetzt husch, husch.«
Isobel stolperte wie betäubt aus dem Raum und stieß draußen beinahe mit William zusammen. Er packte sie bei den Schultern.
»Uups, entschuldigen Sie vielmals«, meinte er und begleitete sie ein Stück zu ihrem Schreibtisch zurück. »Also was um alles in der Welt wollen Sie mit drei verschiedenen Sorten Vanilleschoten anfangen?«
Verzweifelt erwiderte Isobel: »Nun, kochen kann ich zumindest. Aber Mrs. Hogan hat mir gerade befohlen, die Kummerkastenseite zu übernehmen.«
Mit blankem Entsetzen blickte sie zu ihm auf und merkte, dass er sich angesichts ihrer total entgleisten Miene das Lachen verbeißen
Weitere Kostenlose Bücher