Sushi und Kartoffelbrei Ticktack
ich weiß echt nicht, was du daran findest. Ich hatte gedacht, du und Dad würdet nach der Pensionierung Unikurse oder archäologische Ausgrabungen besuchen, einen fetten Erste-Hilfe-Kasten im Schlepptau. Stattdessen spielt ihr Mah Jongg.«
»Ja, das tun wir«, erwiderte June fröhlich. »Ich hab heute mit Isobel gesprochen, und den Kindern geht’s gut. Sie ist wirklich fantastisch mit den beiden.«
»Was du nicht sagst«, bemerkte Clare leicht schnippisch. »Ich gehe am Freitag hin. Isobel hat mich mal wieder breitgeschlagen.«
»Wie schön für dich. Du kannst eine anständige Mahlzeit gebrauchen. Isobel ist eine hervorragende Köchin.«
»Ja«, gab Clare mürrisch zu und blickte unwillkürlich in
die schwarzbraune Masse in Barchesters Schüssel. »Iso ist’ne ausgezeichnete Köchin.«
»Und so clever! Sie macht Sachen, auf die dein Vater und ich nicht im Traum gekommen wären. Weißt du, dass sie Sitzbezüge fürs Auto genäht hat, mit Taschen hinten, wo sie Spielsachen, Snacks und Getränke für die Kinder für lange Fahrten verstauen kann?«
»Ja, ich weiß. Sehr clever.«
»Sie ist so unheimlich praktisch«, erklärte June begeistert. »Sie könnte sich die Dinger patentieren lassen und ein Vermögen damit verdienen.«
»Ja, darüber sollte sie intensiv nachdenken. Tut mir Leid, Mum …«
»Und mit den Kindern, also da hat sie solch eine Engelsgeduld. Ich hab noch nie gesehen, dass sie ihnen gegenüber ausfallend geworden wäre. Ist es nicht wundervoll, wie sich in ihrem Leben alles gefügt hat?«
»Ja, Mum, ich verstehe, was du mir sagen willst. Jetzt muss ich aber, wie gesagt, wirklich Schluss machen. Ich erwarte einen wichtigen Anruf. Beruflich.«
»Ach, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Jemand Interessantes, hoffe ich?«
»Äh, na klar«, Clare überlegte fieberhaft. »Andie McDowell, von ihrer Ranch in Montana.«
»Oh, sie ist ja eine so nette Person. Wie sie es schafft, ihre Filmkarriere mit der Erziehung all dieser Kinder und obendrein der Sorge um das hübsche Haus zu verbinden.«
»Tja, sie hat eben einen netten Mann, der obendrein kochen kann«, bemerkte Clare trocken. »Okay, Mum, ich ruf dich nächste Woche wieder an.«
Sie legte auf und fühlte sich, wie stets nach derartigen Telefonaten, wie ein Versager auf der ganzen Linie. Komisch, wie ihre Mutter das immer schaffte.
Doch das war nichts Neues. Clare und Isobel waren als
Verbündete in einem Haushalt aufgewachsen, in dem die Eltern eine Art von Apartheid praktizierten: den Kindern möglichst aus dem Weg zu gehen. June Calloway pflegte zu sagen: »Los, lauft nach draußen, wo ich euch nicht sehen muss« – oder (und der Satz kam in der Häufigkeit gleich an zweiter Stelle): »Hört mit dem albernen Gekicher auf, euer Vater hat einen schweren Tag im Geschäft gehabt und braucht seine Ruhe.« Die beiden Schwestern sagten sich später, als sie älter waren, dass ihre Eltern sie wohl aus Versehen bekommen haben mussten. In Wirklichkeit hätten sie lieber Bonsaipflanzen züchten wollen. Isobel, die Ältere, reagierte auf die Situation, indem sie sich mühte, besonders brav zu sein. Clares Reaktion war milde Rebellion. Die Wirkung auf ihre Eltern war dieselbe – sie bemerkten kaum etwas.
Clare wanderte rastlos durch ihre Wohnung und verweilte kurz im Bad, um sich nochmals die Zähne zu putzen und den Lippenstift zu erneuern. Im Schlafzimmer begutachtete sie sich im bodenlangen Spiegel. Schultern zu breit, Brüste zu klein, Hüften ebenfalls zu breit. Die Beine waren ziemlich in Ordnung, besonders in schwarzen Strümpfen.
Ihr erst kürzlich trockengeföhntes Haar, das noch vor einer Stunde eine kunstvoll gestylte Mähne gewesen war, baumelte nun schon wieder traurig herunter. Wie sooft wünschte sie, Isobels herrliches Haar zu besitzen. Isobel hatte alles, was an gutem Aussehen in der Familie vorhanden war, geerbt – das dichte, glänzende Haar, die leuchtend blauen Augen und die samtweiche Haut -, und für Clare blieb der Trost, dass eine eindrucksvolle Persönlichkeit und die richtige Haarfärbung immer noch besser als nichts waren. Sie hatte sich von klein auf gewünscht, Haare wie Isobel zu haben, die sie einfach elegant hochstecken konnte, wie Helena Bonham Carter, um sie dann schlicht vergessen zu können. Stattdessen massierte sie noch mehr Stylingsschaum in ihr eigenes feines Haar und bereute es prompt. Leo würde ihr wahrscheinlich die Zunge ins
Ohr stecken wollen und den Mund voller Chemikalien kriegen.
Mit
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