Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)
und die riesigen Wellen bewundert, die mit ihrem weißen Kronenkamm zischend weit auf dem Strand ausliefen, bevor sie sich langsam zurückzogen. Woge um Woge brauste heran, begleitet vom Rauschen, welches noch das Heulen des Windes übertönte.
Jetzt endlich, sie hatten es kaum erwarten können, war die Schar der Kinder zum Strand gelaufen, um zu sehen, was das Meer herangespült hatte. Der Uferstreifen war breit und vor allem lang genug, um allen Kindern ausreichend Platz für ihre spannende Suche zu bieten. Am Ziel angekommen, wurde die eben noch lärmende Menge still und verteilte sich. Mit gesenkten Köpfen schritten sie langsam voran, einige unstet mal in diese, mal in jene Richtung laufend, andere stur einer unsichtbaren Linie folgend. Sobald etwas entdeckt war, wurde es zunächst mit dem Fuß aus dem lockeren Sand herausgestoßen. Falls es sich dann nicht als Stein, Holzstück oder anderes gewöhnliches Zeug entpuppte, war es die Mühe wert, sich danach zu bücken und es in die Hand zu nehmen. Oftmals wurden die Dinge dann wieder fallengelassen, gar wütend weggeschleudert, kaum dass sie aufgehoben waren. Zu oft narrte ein farbiger Stein oder ein durch das Wasser merkwürdig verändertes Holzstückchen die Augen.
Als dann der erste Ruf verkündete, dass ein Bernstein gefunden worden war, strömten alle zusammen, um diesen sogleich zu begutachten. Und richtig, dieses kleine unregelmäßige, schmutzig wirkende Ding, das ein kleiner, über das ganze Gesicht strahlender Junge triumphierend in seiner Hand hielt, war tatsächlich ein Bernstein, wenn auch kein besonders schönes Exemplar.
Noch motivierter gingen alle an die Suche zurück und waren bald weit über das ganze Ufer verteilt. Einige Kinder gingen langsam und nahmen alles in die Hand, was herumlag. Andere eilten schnellen Schrittes, aber mit hochkonzentriertem Blick voran.
Die Rufe erfolgreicher Bernsteinsucher häuften sich und lösten anfangs stets großes Interesse aus, wurden bald aber kaum noch beachtet. Jeder tauchte in seine eigene Welt hinab, gebannt auf den Uferboden starrend. Wer noch nichts gefunden hatte, wurde durch die lautstarken begeisterten Mitteilungen derjenigen, denen ein Fund gelungen war, immer nervöser und versuchte sich noch mehr bei der Suche zu konzentrieren, obwohl dies gar nicht möglich war.
Rusawa hatte auch bereits dreimal die Entdeckung eines Bernsteines verkündet, wobei sich jedes Mal herausstellte, dass es sich um einen normalen Stein handelte. Da dieser aber so schön farbig war oder glänzte, war sie keineswegs betrübt, sondern steckte ihn befriedigt ein. Zu Hause hatte sie noch ein ganzes Säckchen voll Steinen und auch recht ordentlichen Bernsteinen, die sie in den letzten Jahren gefunden hatte. Sie brachte es nicht übers Herz, diese beim Heringsmarkt feil zu bieten. Im letzten Jahr hatte Radik sie überredet, dem Kunstschmied wenigstens einmal probeweise ein besonders schönes Exemplar anzubieten, um zu sehen, was dafür zu bekommen sein würde. Ihr wurde ein gemusterter eiserner Armreif angeboten und, als der Handwerker ihr Zögern bemerkte, obendrein eine Halskette mit kleinen Kupferperlen. Rusawa war von dem Schmuck recht angetan, lehnte das Geschäft aber ab. Als sie am nächsten Morgen erwachte, hatte sie den Reif am Arm und die Kette um den Hals und Radik war um einige Bernsteine ärmer.
Heute schien Radik kein Glück zu haben. Es war überhaupt nichts Interessantes zu entdecken. Inzwischen würde er sich sogar über einen besonders geformten oder gefärbten Stein freuen. Von weitem ertönte wieder ein Jubelschrei, den Radik aber nicht beachtete, ja gar nicht mehr wahrnahm.
Da türmte sich vor ihm ein Berg von Seegras auf, durchmischt mit großen Holzstücken. Radik blickte hoch und sah, dass da ein wahres Meer von diesem nassen, schleimigen, grün und braunem Zeug lag. Es war wohl besser, umzukehren und es woanders zu versuchen, aber dort hinten war ja doch schon alles abgesucht. Er würde sehr weit zurücklaufen müssen. Radik sah sich unschlüssig um und stieß schließlich mit dem Fuß in den Seegrashaufen, als könne er dadurch diesen Berg beiseiteschaffen. Das Treten in diese faserige noch feuchte Masse machte sogar Spaß und war gut, um die Enttäuschung von der erfolglosen Suche abzureagieren. Nasse Fetzen flogen durch die Luft und mit jedem Tritt versuchte Radik, diese weiter und höher zu schleudern. Und dann schien ihm tatsächlich eine großartige Leistung zu gelingen, als ein Teil aus
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