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Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)

Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)

Titel: Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Nikolai M. Jakobi
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ihn zu ignorieren. Radik war für sie einfach nur Luft. Er war sicher, dass sie eine von ihm gestellte Frage höflich beantworten würde, aber darüber hinaus kein Wort mit wechseln wollte.
    Zunächst war es ihm fast peinlich, sie anzuschauen, dann aber war es ihm noch schwieriger, den Blick wieder abzuwenden. Er beobachtete sie von der Seite, wie sie an einer Felljacke, die Radik als Womar gehörend erkannte, nähte. Sie war hochkonzentriert bei der Arbeit und presste jedes Mal ihre Lippen zusammen, wenn sie die Nadel durch das dicke Material drücken musste. Als sie sich hinunterbeugte, fiel ihr das schulterlange rotbraune Haar vor die Augen, welches sie mit der freien Hand zurückstrich. Radik fiel auf, dass sie die Bernsteinkette nicht mehr trug und beim Umherblicken, entdeckte er das Lederband auf dem Regal liegend.
    Sie hatte zwei große Kerzen dicht neben sich gestellt, um bei der feinen Arbeit gutes Licht zu haben, denn jetzt im Winter waren die Fensterläden stets geschlossen, so dass es auch mitten am Tage in der Hütte dunkel war. Radik bewunderte ihre zarte helle Haut, von der sich ihre vollen Lippen durch ein kräftiges Rot abhoben. Ihr Gesicht war ebenmäßig und besaß feine Züge. Radiks Verlangen, diesem Mädchen näher zu kommen, dem er zudem ein Unrecht angetan zu haben glaubte, wurde in diesen stillen Momenten zu einer leidenschaftlichen Begierde, die ungeahnte Gefühle in ihm hervorrief.
    "Ich wollte mich noch bei dir entschuldigen!" sagte Radik und wünschte, seine Stimme hätte nicht so tonlos geklungen.
    Sie führte zwei weitere Stiche aus, sah dann zu ihm hinüber und fragte mit deutlicher Verwunderung: "Wofür?"
    Das helle Grün ihrer Augen, welches im Kerzenlicht wie von selbst zu strahlen schien, traf ihn, wie ein Blitz. Er fühlte die Trockenheit in seinem Hals und war außerstande, ein weiteres Wort an Kaila zu richten, die unbeirrt ihre Arbeit fortsetzte.
    Schließlich zeigte Kaila Womar die ausgebesserte Felljacke. Er lobte sie und bedankte sich. Sie setzte sogleich ihre Mütze auf, zog den Mantel über und verabschiedete sich von ihrem Großvater mit einem Kuss auf die Wange.
    "Viele Grüße an Ludisa", gab Womar ihr noch auf den Weg.
    Sie warf Radik flüchtig einen Abschiedsgruß zu, welcher das einzige Wort in ranischer Sprache darstellte, das Radik heute von ihr gehört hatte.
    "Nun lass uns gleich anfangen! Wir wollen doch heute mit dem Erlernen der Zahlen anfangen."
    Womar hatte sich schon tagelang hierauf vorbereitet. Nachdem Radik beim Schreiben und Erlernen der deutschen Sprache große Fortschritte gemacht hatte und er das Fundament mit absoluter Sicherheit beherrschte, auf dem sich leicht weitere Kenntnisse auf diesen Gebieten aneignen ließen, hielt Womar es für den logischen weiteren Schritt, dem talentierten Jungen nun auch das Rechnen beizubringen.
    Womar hatte immer wieder überlegt, wie er die Einführung in die Welt der Zahlen gestalten sollte. Es galt, den Lernenden nicht mit Selbstverständlichem zu langweilen, ihn aber andererseits auch nicht mit zu viel Neuem zu überfordern. Bei Radik hatte Womar stets die besten Erfolge erzielt, wenn es darum ging eine Systematik zu verstehen oder kreativ zu werden. Ersteres bot sich für die Arithmetik natürlich geradezu an.
    "Beim Rechnen stellst du Zahlengrößen zueinander in ein Verhältnis. So kannst du zum Beispiel einer Menge etwas hinzufügen oder wegnehmen. Zunächst wollen wir aber die Bezeichnung und Darstellung der verschieden Zahlenwerte lernen, ohne die die Ausführung einer Rechenaktion nicht denkbar ist. Das wäre wie ein Schreiben ohne Buchstaben."
    Während Womar sich bei seinen Vorbereitungen an dieser Stelle eine interessierte Neugier bei Radik vorgestellt hatte, ja sogar bereits mit den ersten Zwischenfragen gerechnet hätte, sah er, wie sein Gegenüber nun alle Mühe hatte, ihm zu folgen und mit den Gedanken immer wieder abschweifte.
    "Verstehst du, was ich sage."
    "Ja. Aber vielleicht ist es heute schon etwas spät."
    "Es ist mitten am Tage! Wenn du nicht magst, können wir das Rechnen auch auf später verschieben."
    "Warum trägt sie die Kette nicht mehr?"
    "Wie bitte?"
    Womar wusste zunächst nicht, wovon Radik redete.
    "Oh Radik. Weißt du, was noch schwieriger ist, als das Erlernen aller Rechenkünste dieser Welt? Das Erraten der Gedanken und Empfindungen weiblicher Wesen. Ich bin ein alter Mann, der mancherlei erlebt hat, kann dir in diesen Fragen aber keine Antwort geben. Jeder Rat, den ich dir
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