Svantevit: Radiks Geschichte - Historischer Roman (German Edition)
über Bienen, Ameisen, Käfer und alle möglichen Vögel, die sie seit frühen Kindertagen intensiv beobachtet hatte.
Irgendwie kamen sie darauf zu sprechen, was man einmal gerne machen würde. Beide waren sich einig darin, dass sie eine Zeit lang die Insel verlassen und andere Gegenden erkunden wollten. Sie kannten die Geschichten und Erzählungen Womars, Kaila war schließlich mit ihnen aufgewachsen.
Und Radik sprach von seinem tiefen Wunsch, zur Tempelgarde zu gehören.
"Hast du schon mal erlebt, wie das weiße Pferd über die Lanzen läuft? Die Gardisten tragen dann blaue Gewänder und es ist totenstill, die Menschen sind starr vor Spannung. Die Blicke begegnen ihnen mit Respekt und Hochachtung, während sie auf ihren Pferden sitzen. Irgendwie sind sie dann selbst in die Nähe der Götter erhoben. Einige Gardisten dürfen dem Priester sogar die Opfertiere darbringen."
Radik blickte träumerisch in den Sommerhimmel.
"Und wenn sie mit ihren Pferden angreifen, zittert der Feind vor Angst. Überall sind diese mutigen Krieger gefürchtet, bei den Dänen, den Deutschen und den Pommern. Was mag das wohl für ein Gefühl sein, wenn man mit seinen Waffen zum Kampf schreitet, Mann gegen Mann, auf Leben und Tod? Manchmal kann ich es gar nicht erwarten, zur Tempelgarde dazuzugehören – aber da muss ich noch ein paar Jahre warten, weil sie nur erwachsene Männer gebrauchen können."
Radik blickte zu Kaila hinüber und sah, dass ihr dicke Tränen über das Gesicht liefen. Sie wischte diese mit der Hand weg und schluchzte dabei sogar leise. Dann stand sie auf und ging fort.
Radik blieb ratlos zurück. Hatte er etwas Falsches gesagt? Er verstand die Welt nicht mehr. Er war derart überrascht, dass er zunächst einfach im Gras sitzen blieb und ihr nicht hinterher eilte. Zwar war ihm nicht klar, was er genau falsch gemacht hatte, aber er begann sofort den Fehler bei sich zu suchen und könnte heulen vor Wut gegen sich selbst. Über ein Jahr hatte nun schon alles zwischen ihnen zum Besten gestanden und doch mussten da noch Dinge sein, die er nicht von ihr wusste. Da konnte nur Womar Rat wissen. Radik sprang auf und rannte los.
Womar stand vor der Hütte werkelte an einigen Bienenkörben, als Radik angelaufen kam.
"Sie ist im Haus", sagte Womar freundlich und zwinkerte dem atemlosen Radik zu.
Kaum war er zur Tür herein, fiel sie ihm um den Hals.
"Entschuldige bitte", flüsterte sie in sein Ohr.
Seit Radik Kaila kannte hatte es zwischen ihnen nie eine bewusste zärtliche Berührung gegeben. Jedes noch so kleine Antippen mit der Fingerspitze, sei es nur flüchtig gewesen, hatte Radik registriert und stets gehofft, sie möge den körperlichen Kontakt als genauso angenehm empfinden, wie er es tat. Oft war er versucht gewesen, seinem Verlangen nach liebevoller Berührung nachzugeben, aber die Angst, ihr damit zu nahe zu treten, sie gar zu kränken, hatte ihn immer wieder davon abgehalten. Nun drückte sie sich fest an ihn und entschuldigte sich bei ihm. So sehr er ihre Zärtlichkeit genoss, ließ ihn die Situation doch noch ratloser werden. Erst als Womar in die Tür trat, löste Kaila sich von Radik.
"Ich habe dir ja bereits erzählt, dass Kailas Eltern nicht mehr leben. Grund dafür ist eine ganz unerfreuliche Geschichte, die sich vor vielen Jahren ereignet hat", sagte Womar, nachdem sich die drei an den Tisch gesetzt hatten.
Dem Alten war anzusehen, dass es ihm sehr schwer fiel, darüber zu reden. Er füllte einen Becher mit Met und nahm einen gierigen Zug, wobei Radik ein leichtes Zittern in seinen Händen bemerkte.
"Es ist noch keine zwanzig Jahre her, seit ich hier auf diese wunderschöne Insel kam, zusammen mit meiner Tochter, ihrem Mann und dessen Schwester. Wir lebten zuvor einige Jahre im Lande der Obodriten und bald führte uns der Weg zum Markt bei der Burg Arkona. Ich betrieb auch damals schon die Zeidlerei, meine Tochter und ihr Mann, damals jung getraut, züchteten Ziegen und Schafe. Wir beschlossen, da der Markt immer mehr zu einer wichtigen Einnahmequelle für uns wurde, unseren Wohnsitz in seine nähere Umgebung zu verlegen und fanden bald ein passendes Fleckchen Erde, wo wir dieses Häuschen errichteten, in dem wir anfangs alle zusammen wohnten."
Womar blickte sich im Raum um, als könne er noch längst vergangene Dinge erblicken und seine Augen verrieten, dass in seinen Gedanken Eindrücke der früheren Zeit auftauchten. Er trank die Neige aus und schenkte sich nach.
"Dann wurde Kaila geboren,
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