Sven Larsson Bd. 1 - Rebell unter Segeln
die Pferde in einem Gewitter scheuten. Der Wagen wurde einen Abhang hinuntergeschleudert, zerschmetterte und begrub meine Eltern. Ich hatte damals gerade begonnen, als Lehrerin zu arbeiten. Mein Vater hat immer viel Wert auf eine gute Ausbildung gelegt, die ihm selbst nicht zuteil wurde. Mein ältester Bruder war Kantor, der zweite sollte das Geschäft meines Vaters als Schneider übernehmen.«
»Leben sie denn auch nicht mehr?«
»Nein, sie starben schon zu Lebzeiten meiner Eltern an einer Typhusepidemie, die damals viele Leute hinwegraffte.«
Ben nickte. »Ich weiß. Auch zwei meiner Geschwister sind an Typhus gestorben. Dagegen leben wir hier recht gesund in unserem Dorf. Aber nun erzählt einmal von Eurem New England Primer . Ich habe Lesen und Schreiben mit einem Hornbook und mit der Bibel gelernt.«
Astrid lächelte. »Das alte Hornbook kenne ich auch noch. Das war ja kaum mehr als eine kleine Holztafel mit einem Papier, auf dem das Alphabet und einige Sprüche standen, alles überzogen von ganz dünner, durchsichtiger Haut. Der Primer ist ein richtiges kleines gedrucktes Buch mit etwa achtzig Seiten. Natürlich bringt er auch erst das Alphabet und zu jedem Buchstaben einen Merkspruch, zum Beispiel ›Nach Adams Fall, wir sündigten all‹ für das A. Dann kommen Gebete für jede Tageszeit, fromme Geschichten und Hilfen für den Tag. Heute wirkt das Buch etwas sehr streng, aber im Unterricht konnte ich manches abmildern. Doch die Bibel musste auch bei uns gelesen werden.«
»Gehört Ihr der lutherischen Kirche an?«
»Ja, wie mein Einar. Er hatte schwedische Eltern, wie Ihr wisst. Sie kamen etwas früher als meine. Sein Vater war Kapitän eines kleinen Handelsschiffes und Teilhaber. Er lebt jetzt in Gloucester. Der ältere Bruder wohnt ganz in der Nähe und hat eine Bäckerei.«
»Sie werden Euch und Eure Kinder nicht im Stich lassen.«
»Nein, das werden sie nicht. Aber die Zeit meines Glücks ist vorbei. Jetzt muss ich für meine Kinder leben.«
Als sie das Dorf am Abend erreichten, liefen ihnen die Kinder entgegen. Allen voran jubelten Ingrid und Sven der Mutter zu. Man sah, wie groß ihre Angst um die Mutter tagsüber gewesen war. Und dann entdeckten sie die Kuh, die müde hinter dem letzten Wagen hertrottete.
»Lisa, Lisa!«, riefen sie und streichelten die Kuh am Kopf und an den Schenkeln. Und Lisa muhte und sah ein wenig frischer aus.
Die Quäker im Dorf waren überrascht, wie viel die Wagen brachten.»Da habt ihr ja die ganze Einrichtung retten können, Astrid«, freute sich Bertha.
»Ja«, antwortete Astrid. »Nun kann ich mich bei euch allen bedanken und noch etwas in unsere neue Heimat mitnehmen.«
»Wir helfen nicht um Dankes willen, Astrid«, belehrte sie Bertha.
»Ich weiß. Aber dem, dem geholfen wurde, darf man den Dank auch nicht verweigern.«
Als sie abgeladen hatten, kam der älteste Quäker zu ihr. Die Gemeinschaft der Freunde kannte weder Priester noch Bürgermeister, aber es hatte sich so ergeben, dass der Mann mit der größten Lebenserfahrung öfter als Sprecher aller auftrat.
»Wir sind beschämt, Astrid, weil Ihr uns so viel von Eurer Habe überlassen wollt. Wir können Euch das nicht bezahlen, denn Ihr wisst selbst, wie knapp Bargeld in den Grenzsiedlungen ist. Wir tauschen doch fast nur. Aber wir werden uns bemühen, Dinge, die Ihr nicht mitnehmen könnt, in Reading gut zu verkaufen und Euch das Geld zu schicken. Ich weiß, dass Euer Land auch in Reading auf Einars Namen eingetragen ist. Ihr solltet jemanden beauftragen, es zu verkaufen. Es ist gutes Land und weitgehend bearbeitet. Wir können Euch einen ehrlichen Makler empfehlen. In zwei Wochen könnten wir Euch auf die Reise zu Euren Leuten bringen, wenn Euch das recht ist.«
Es war Astrid recht. Sie besuchte täglich das Grab ihres Mannes. Die Quäker hatten ihr zugesichert, dass sie auch das Metallkreuz, das sie schicken wollte, aufstellen würden.
Der Abschied war schwer und tränenreich. Die Hilfsbereitschaft dieser friedliebenden Menschen hatte alle Larssons tief beeindruckt. Und sie wussten, dass sie wahrscheinlich niemanden wiedersehen würden.
Drei Wagen fuhren nach Reading, denn die Quäker konnten die Tagesreisen nicht allein für Astrid auf sich nehmen. Sie mussten es mit ihrer normalen Fahrt in die Hauptstadt verbinden, in der sie Waren ablieferten und dafür das tauschten, was sie im Winter brauchten. Nun fuhr ein Wagen mehr mit und hatte zwei Kisten und mehrere Taschen für Astrid
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