Sweet Valentine's - Rache zum Valentinstag
übrig. Unsere Taschenlampen
leuchten das kleine Wasserbecken unterhalb des Wasserfalls ab. Das Ufer ist mit
unregelmäßigen Eisstrukturen bedeckt, aber in der Mitte ist die Oberfläche
durch die ständige Bewegung des Wassers offen.
»Jacob,
bist du hier?«, schreit Milla. Ihre Stimme klingt schrill, und ihrem Gesicht
ist die Panik ganz deutlich anzusehen. Kein Wunder. Sie muss eine Heidenangst
ausstehen. Und wahrscheinlich sehe ich nicht viel besser aus.
Plötzlich
höre ich etwas. Es ist nur ganz leise und wird vom Rauschen des Wassers fast
verschluckt, aber es klingt eindeutig nach einer Stimme. Einer Kinderstimme.
»Sschh!«
Mit einer Handbewegung weise ich die anderen an, ganz still zu sein. Wie
gebannt lauschen wir, während die Lichtkegel unserer Taschenlampen die Umgebung
des Wasserfalls absuchen.
Da
ist es wieder.
»Mama!«,
ertönt die schwache Kinderstimme, die ich vorher schon gehört habe. Sie kommt
direkt von der Felswand, an der das Wasser herabfällt.
»Da!«,
schreit Holly plötzlich. »Da ist er!«
Der
Lichtstrahl ihrer Lampe hat einen schmalen Kinderkörper erfasst, der direkt an
der Felswand zu hängen scheint. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man, dass er
nicht hängt, sondern auf einem schmalen Felsvorsprung steht und sich an den
Wurzeln festklammert, die aus den Felsspalten hervorragen.
Ich
kenne den Felsvorsprung. Als Kind bin ich oft genug selbst darauf
herumbalanciert. Er führt direkt unter den Wasserfall. Mit ein bisschen
Geschick kann man darauf bis zu einer kleinen Höhle gelangen, die komplett vom
herabstürzenden Wasser verdeckt wird und ziemlich tief in den Fels hineinführt.
Im
Sommer ist das schon nicht ganz ungefährlich, aber jetzt, wo die Felsen von
einer Eisschicht überzogen sind, ist es der reine Wahnsinn. Trotzdem bin ich
davon überzeugt, dass Jacob genau das vorhatte.
Nur
scheint ihn auf halber Strecke der Mut verlassen zu haben. Er steht nicht weit
vom fallenden Wasser entfernt. Würden ihm nicht unzählige Eiszapfen den Weg
versperren, könnte er es sogar unter dem Wasser hindurch auf die andere Seite
schaffen.
»Jacob!«,
schreit Milla. »Du musst dich festhalten! Halt dich gut fest, ja? Wir sind
gleich bei dir.«
So
schnell es geht, laufen wir um das Wasserbecken unterhalb des Wasserfalls herum
zu der Seite, an der der Felsvorsprung beginnt.
Nur
nebenbei bekomme ich mit, dass Jed Whiteman sein Handy aus der Tasche zieht und
Bescheid gibt, dass wir Jacob gefunden haben. Ich weiß nicht, wer sein
Gesprächspartner ist, aber ich nehme an, dass er mit Noah telefoniert.
»Mama!«,
wimmert Jacob.
Die
Angst, die in seiner Stimme liegt, bohrt sich direkt in mein Herz.
»Jacob,
komm zu uns«, kreischt Milla. Sie steht direkt am Ufer des Wasserbeckens und
streckt die Arme nach ihrem Sohn aus. Hilflosigkeit liegt in ihrer Miene, aber
mein Mitleid mit ihr hält sich in Grenzen. Ohne ihre Lügen wäre das alles nicht
passiert. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass sie mir all die Jahre
verheimlicht hat, dass ich einen Sohn habe. Und ich will lieber gar nicht
wissen, wie es Barry im Augenblick geht.
»Mama«,
wimmert Jacob wieder. »Ich kann nicht, ich traue mich nicht.«
Ich
mache noch ein paar Schritte zum Wasser hin und schiebe Milla zur Seite. Auf
diese Weise bin ich so nah wie möglich an dem Jungen dran, doch selbst wenn ich
die Arme ausstrecke, beträgt die Distanz zwischen uns noch gut dreieinhalb
Meter.
»Du
schaffst das schon«, versuche ich ihn zu beruhigen. »Du bist dorthin gekommen,
also schaffst du es auch wieder zurück. Halt dich gut an den Wurzeln fest und
mache einfach einen Schritt nach dem anderen.«
Tapfer
versucht Jacob, meine Anweisungen zu befolgen. Er klammert sich mit den Händen
an einer dicken Wurzel fest, hebt einen Fuß und setzt ihn ein Stückchen weiter
wieder auf den Vorsprung. Doch plötzlich rutscht sein Fuß ab. Im allerletzten
Moment gelingt es ihm, sich an einer anderen Wurzel festzuhalten.
»Nein!«
Milla schreit entsetzt auf, und auch alle anderen halten erschrocken die Luft
an.
Jacob
steht auf dem Vorsprung und hält sich krampfhaft fest, während er von
Weinkrämpfen geschüttelt wird.
Er
wird es allein nicht schaffen, da bin ich mir sicher. Seine Angst davor,
abzustürzen und ins eiskalte Wasser zu fallen, ist viel zu groß.
Jetzt
gibt es nur noch eine Möglichkeit. Ich muss ihm helfen.
Entschlossen
ziehe ich den Reißverschluss meiner Jacke auf und lasse sie von meinen
Schultern gleiten. Sie würde mich bei
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