Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
Vom Netzwerk:
Gottesdienst über bitterlich weinte. Mary June dagegen saß aufrecht und ohne zu weinen in der Bank, die Hände über ihrem Bauch gefaltet.
    Nach dem Gottesdienst waren Gäste nach Sweetgrass eingeladen worden, zu einem Leichenschmaus in der Tradition der Südstaaten. Das Traueressen bestand aus gebratenem Huhn, Gegrilltem, gedämpftem Gemüse, Maisbrot, Plätzchen und Bananenpudding und sollte der Familie und ihren Freunden über die Trauer hinweghelfen.
    Mary June hielt sich ein wenig abseits von den anderen und lief zum Bach hinunter, wo an einer riesigen alten Eiche an verwitterten Seilen eine große Holzschaukel hing. Der abgebrochene Ast des Baumes, an dem die Schaukel hing, ragte wie ein arthritischer Finger über das spiegelglatte Wasser. Im vergangenen Sommer, der ihr jetzt so unerreichbar weit weg erschien, hatten Mary June und Adele wie Hühner auf der Stange auf dem Holzsitz eng beieinandergesessen, mit den Beinen synchron Schwung holend, lachend und schwatzend, mit einer Hand am Seil und den anderen Arm um die Hüfte der Freundin gelegt.
    Nun saß sie allein auf der Schaukel und schwang gedankenverloren hin und her. Ihr Blick folgte der Richtung, die der Zweig angab, als würde eine weise Alte ihr die Zukunft lesen wollen, denn er führte ihren Blick zu dem Wasser, das Tripps Leben gefordert hatte.
    So starrte sie auf das Wasser hinaus, während die Familie aß und Erinnerungen aufleben ließ. Nach einer Weile hörte sie hinter sich das Geräusch von Schritten. Zögernd drehte sie sich um und hob den Blick.
    Seitdem sie am Tag zuvor angekommen war, hatte sie mit Preston noch kein Wort gewechselt, auch wenn sie ihn natürlich gesehen hatte. Er war einer der Sargträger gewesen und hatte bei der Beerdigung gesprochen. Er hatte zwar abgespannt, aber dennoch gefasst gewirkt. Wie die meisten Männer hatte er wegen der Hitze dieses Herbsttages sein schwarzes Jackett und die Krawatte ausgezogen und die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt. Er sieht älter aus, dachte sie, als sie Krähenfüßchen um seine Augen bemerkte, die sich in seiner gebräunten Haut eingegraben hatten. Doch noch etwas anderes hatte ihn verändert – etwas, das sie nicht in Worte fassen konnte. Es war, als hätte jemand den Funken jungenhafter Unschuld und jugendlicher Unbeschwertheit erlöschen lassen, der einmal in seinen Augen gefunkelt hatte. Der Tod war dafür verantwortlich, und sie hätte schwören wollen, dass auch in ihren eigenen Augen die Trauer deutlich zu lesen war.
    “Wie geht’s dir?”, fragte er.
    “Gut”, antwortete sie.
    Er starrte auf seine polierten Schuhe, als stünde sein nächster Satz darauf, und fragte: “Ich meine, wie geht es dir wirklich?”
    Mary June sah ihn genauer an und versuchte herauszufinden, was er meinte.
    “Mir geht’s gut”, antwortete sie etwas weniger gleichgültig.
    Preston seufzte und blickte auf das Wasser hinaus. Sein Profil wirkte stark, dünner und feiner, als Tripps Profil ausgesehen hatte. Sie sah an seinem Wangenknochen einen Muskel zucken, und unwillkürlich umschloss ihre Hand das Seil der Schaukel fester.
    “Wir müssen reden”, begann er.
    “Worüber denn?” Unsicher stieß sie sich vom Erdboden ab und gewann etwas Tempo.
    Er streckte die Hand aus und hielt die Schaukel an. Als Mary June sich ihm zuwandte, sahen sie sich direkt in die Augen.
    “Ich weiß, dass du schwanger bist”, sagte er leise.
    Mary June riss die Augen auf. Fast hätte sie es rundweg abgestritten, doch dann drang das Wort
schwanger
zu ihr durch und ließ sie erbeben. Tränen traten in ihre Augen, und sie starrte ihn ungläubig an. Die ganze Zeit hatte sie ihre Gefühle unter Kontrolle gehalten, aber jetzt konnte sie nicht mehr. Sie brach in seinen Armen zusammen und weinte.
    “Nicht weinen, Mary June. Er hat dich geliebt”, sagte er ernsthaft und hielt sie fest. “Ich weiß, dass es so war. Er hat dich geliebt und hätte dich geheiratet. Er wäre dir ein guter Ehemann geworden und ein guter Vater für dein Kind. Das musst du mir glauben.”
    “Er hat es dir gesagt.” Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
    “Nicht direkt. Ich habe es herausgefunden.”
    Das hatte sie nicht erwartet. Sie fühlte sich unendlich erleichtert, weil sie endlich mit jemandem über ihr Geheimnis sprechen konnte, das sie bisher verborgen gehalten hatte. Und dass es Preston war, dem sie vertrauen konnte, gab ihr Stärke.
    “Wie denn?”, fragte sie. Sie musste es wissen.
    “Dein Brief.” Als sie bestürzt die

Weitere Kostenlose Bücher