Sweetgrass - das Herz der Erde
Schneidersitz ins Gras und stützte die Ellbogen auf seine Knie.
“Der Krieg hat ihn verändert”, begann er und wählte seine Worte mit Sorgfalt. “Es war, als wäre etwas in ihm gestorben, und er wusste es. Aber er hat dagegen angekämpft. Als er aus dem Krieg zurückkam, ist er im Land herumgereist. Deswegen war er nicht da, als du im Mai zum ersten Mal nach Sweetgrass kamst. Ich hatte das Gefühl, dass es ihm besser ging, als er zurückkehrte. Das glaubten wir alle. Wir wussten nicht, wie tief seine Verletzungen gingen, und wir ahnten nicht, dass seine Stimmung so schnell umschlagen konnte. Er war wie Ebbe und Flut, die er so geliebt hat.
Manchmal war er voller Leben und probierte alles aus – und es war toll, wenn man dann mit ihm zusammen war. Dann wieder machte ihn der Schmerz völlig kraftlos und entzog ihm jedes bisschen Leben, und er war den unzähligen Dämonen, die an ihm nagten, schutzlos ausgeliefert.” Preston verstummte und riss ein paar Grashalme ab.
“Ich musste lernen, seine Gezeiten zu spüren und mich vor Untiefen und undurchdringlichem Wasser in Acht zu nehmen. Als er an diesem Tag nach Bluff House zurückkam, wusste ich sofort, dass es ihm schlecht ging. Es war, als wäre er schon längst auf diese Muschelbank aufgelaufen und läge dort, schwer verletzt und blutend.”
“Mein Gott”, flüsterte sie und schlug die Hand vor den Mund. “Mein Brief.”
Preston nickte. “Er war völlig außer sich. Er hat dich geliebt, das hat er mir gesagt.” Er atmete tief ein. “Aber er konnte sich nicht vorstellen, zu heiraten und sesshaft zu werden. Ich glaube, er hat sich für nicht reif genug gehalten. Er wusste, was er hätte tun sollen, was man von ihm als Gentleman erwartete. Von einem Blakely. Doch irgendwie konnte er es nicht.”
Mary June fühlte sich gedemütigt. “Also hast du ihm gesagt, dass er mich heiraten muss.”
Preston nickte.
Ihre Wangen brannte vor verletztem Stolz. Dennoch war sie ihm für seine Aufrichtigkeit dankbar.
Er senkte den Kopf und schloss seine Augen. “Wir haben deswegen gestritten.”
Beide wussten, dass das eine erhebliche Untertreibung war angesichts der blutigen Schlägerei, die sie sich geliefert hatten. Sie waren im Zorn auseinandergegangen, und Mary June wusste, dass er nach Tripps Tod verzweifelt weggerannt war, weil er seine Worte nicht mehr zurücknehmen konnte.
“Es tut mir leid”, sagte sie leise.
“Warum?”
“Ich wollte nie zwischen euch stehen. Ich wollte nie, dass so etwas geschieht.”
Er schwieg wieder und sagte dann: “Es gibt noch etwas, das du wissen solltest.” Er gab ihr ein Stück liniertes Papier, auf dem in Tripps krakeliger Schrift etwas geschrieben stand. “Das hat er oft auf diese Zettel geschrieben. Das hier habe ich für dich aufgehoben. Ich dachte … Na ja, ich nehme an, es war das, was er hat ausdrücken wollen.”
Mary June betrachtete den Zettel genauer. Sie erkannte die Zeilen. Und auf diesem Stück Papier, durch die Worte Jack Kerouacs, hatte Tripp ihr geantwortet.
This is the night, what It does to you
.
I had nothing to offer anybody but my own confusion
.
Sie erhob sich von der Schaukel und wollte gehen.
Preston sprang auf und ergriff ihre Hand.
“Mary June, warte. Heirate mich!”, platzte er heraus.
Sie drehte sich abrupt um und glaubte, sich verhört zu haben. “Was?”
“Heirate mich!”, wiederholte er.
Ungläubig verzog sie ihr Gesicht. “Das meinst du nicht ernst, oder?”
“Doch, das tue ich. Hör mir zu. Hast du überhaupt schon darüber nachgedacht, was du jetzt tun wirst? Mit dem Baby?” Als sie den Kopf schüttelte, fuhr er fort. “Aber ich. Und es gibt nur eine Möglichkeit.”
“Ich kann nicht von dir verlangen, dass du deine Zukunft für mich opferst.”
“Das tust du nicht! Ich mache das von mir aus.”
“Nein, das kann ich nicht zulassen. Du willst mich doch gar nicht heiraten. Ich will nicht auch noch das Leben von jemand anderem ruinieren.”
Preston berührte sie sanft an der Schulter. “Mary June, weißt du denn nicht, dass ich in dich verliebt bin seit dem Tag, an dem du über diese Wurzel gestolpert und in meine Arme gefallen bist? Aber als ich mir eingestehen musste, dass du an jemand anders interessiert bist, habe ich mich zurückgezogen. Doch jetzt liegen die Dinge anders, und ich habe keine Zeit, um dich zu werben.”
“Das kann ich nicht. Es ist zu früh.”
“Denk nach, Mary June. Das Kind kommt auf die Welt, auch ohne dass du dafür bereit bist.
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