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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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einmal in ihre Tasche und zog ein Bündel Gräser hervor, außerdem ein paar Streifen Palmblätter sowie dunkleres Binsengras und Kiefernnadeln. Sie wandte sich an ihre Freundin.
    “Mama June, ich habe lange darüber nachgedacht.”
    Mama June hörte auf zu schaukeln und sah sie an. “Was denn?”
    “Es wird Zeit, dass du auch mit dem Korbmachen beginnst.”
    Mama June blickte sie verwirrt an. “Ich? Einen Korb herstellen?”
    “Ja, das meine ich. Seit Wochen schaust du mir bei dieser Arbeit zu und fragst mich Löcher in den Bauch. Und ich habe eigentlich darauf gewartet, dass du mich von selber fragst, ob du einen machen kannst.”
    “Ich wollte ja. Aber ich dachte, ich sollte das nicht fragen. Ich meine, immerhin ist es ein Teil eurer Kultur. Ich dachte …”
    “Ich habe es Schwarzen wie Weißen beigebracht, wenn du das meinst”, erklärte Nona. “Und das ist mir ganz egal, solange ich die Tradition aufrechterhalten kann”, sagte sie und lachte leise. “Die Leute merken dann, wie viel Arbeit in so einem Korb steckt, und lernen das Handwerk zu schätzen. Also, darf ich es dir beibringen?”
    “Du musst das nicht machen. Ich weiß doch, dass du mir nicht wehtun wolltest.”
    Nona schürzte die Lippen. “Ich muss überhaupt nichts machen. Und wer sagt, dass ich dir wehtue”, fügte sie schelmisch hinzu. “Du hast das Gras ja noch nicht mal angefasst.”
    Als Mama June zögernd lächelte, fuhr Nona fort. “Ich glaube, wir befinden uns an einem wichtigen Wendepunkt. Im Augenblick geschieht eine Menge, und ich befürchte, wenn wir jetzt nicht beginnen, werden wir die Gelegenheit später nicht mehr haben. Was wir heute beiseitelegen, darauf können wir morgen zurückgreifen. Und ich glaube, du musst
heute
mit dem Korbmachen beginnen, Mary June. Mit diesen Gräsern zu arbeiten, wird dir guttun.” Sie schwieg einen Moment. “Ist auch gut gegen Arthritis.”
    “Ich habe keine Arth…”
    “Siehst du? Ich weiß genau, wie ich dich kriegen kann.”
    Ein zaghaftes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, und Mama June nickte schließlich zögernd. “Na gut. Wo fangen wir an?”
    Nona grinste zufrieden. “Zuerst musst du die Knoten lernen”, antwortete sie und suchte das Material zusammen.
    Mary June lehnte sich vor und beobachtete Nonas Handgriffe ganz genau. Sie saßen Schulter an Schulter und mit gebeugten Köpfen eng nebeneinander. In ihren starken Händen drehte Nona ein Bündel weicher biegsamer Nadeln der Sumpfkiefer, während sie die Enden der Gräser mit den Zähnen festhielt. Sie machte einen runden Knoten und begann mit dem Aufwickeln.
    “Bei dir sieht das so einfach aus”, seufzte Mama June.
    “Das macht die Übung”, erwiderte Nona. Sie hob ihre Arbeit hoch, damit Mama June sie besser sehen konnte. “Mit dem Knoten fängt man an”, erklärte sie. “Er muss so stark sein, dass er den ganzen Korb zusammenhalten kann.”
    Sie griff neben sich nach einer Hand voll Sweetgrass. Die einzelnen Halme waren dünn, und selbst ihren erfahrenen Fingern entglitten einige und fielen zu Boden.
    “Man verliert immer ein paar”, kommentierte Nona und sah zu, wie Mama June sich bückte, um sie aufzuheben.
    “Früher haben wir die Körbe nur aus Sweetgrass hergestellt. Ich mag, wie es aussieht, und auch, wie es sich anfühlt.” Sie atmete tief durch und lächelte traurig. “Wenn ich dieses Gras in der Hand habe, kommt es mir manchmal so vor, als säße ich mit meiner Mutter und meiner Großmutter zusammen und mit all den Frauen, die das Gras vom selben Feld zu Körben verarbeitet haben. Und alle stellen wir sie auf die althergebrachte Art her, die uns unsere Mütter beigebracht haben. Meine ganze Familie, Generation über Generation, liegt in diesem Feld von Sweetgrass begraben, und ihr Geist ist in diesen Halmen, die ich in meiner Hand habe. Es ist meine Bestimmung, uns alle zusammenzuhalten, uns fest aneinanderzubinden.”
    Sie verstummte und sah Mary June in die Augen. “Das ist es, was eine Frau tun kann. Wir halten dieses Gras in den Händen. Manche Halme sind weich und süß wie das Sweetgrass. Manche sind stark und rau wie die Binse. Und manche sind biegsam, aber schwach, so wie die Kiefernnadeln. Und jeder Halm ist anders, jeder ist etwas Besonderes. Und jeder von ihnen wird für so einen Korb gebraucht.
    Wir Frauen machen diese Körbe. Wir nehmen das Gras in unsere Hände und binden es zusammen, so gut wir können, weil wir etwas Schönes schaffen wollen.” Sie seufzte leise. “Mehr

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