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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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können wir nicht tun.”
    Sie sahen einander lange an. Mama June verstand, was Nona ihr damit sagen wollte.
    Nona lächelte und zog aus ihrer Tasche ein schmales Lederetui, hellbraun und abgegriffen. Darin lag ein zur Webnadel umgearbeiteter Teelöffel, der sehr alt aussah. Behutsam, wie einen Schatz, nahm sie ihn in die Hand.
    “Das war der ‘Knochen’ meiner Mutter. So heißen diese Werkzeuge bis heute, weil sie früher aus echten Knochen hergestellt wurde, zum Beispiel aus der Rippe einer Kuh. Heutzutage nimmt man eher Teelöffel. Ohne diesen hier könnte ich keine Körbe machen”, erklärte sie und betrachtete liebevoll das Stück Metall in ihrer Hand. “Ich weiß nicht, was ich ohne dieses Ding anstellen würde. Alle meine Körbe habe ich damit hergestellt. Und ich hoffe, ich werde dieses Werkzeug irgendwann an Grace weitergeben.
    Und das hier”, fuhr sie fort und zog einen anderen alten fein verzierten Löffel hervor, “das ist dein Knochen. Elmore hat ihn für dich umgearbeitet. Den Löffel hat er in dem Sweetgrass-Feld gefunden. Weiß der Himmel, wie er dahin gekommen ist. Könnte aus einem Grab stammen. Oder ein Hurrikan hat ihn dahin getragen.” Sie schmunzelte. “Oder vielleicht hat die alte Beatrice ihn da hingelegt.”
    “Ich würde mich nicht wundern, wenn das alte Gespenst das Familiensilber verteilt …”, murmelte Mama June und lachte leise. Dann verschwand das Lächeln wieder. “Danke, Nona”, sagte sie ernst und nahm den Löffel in ihre Hand. “Das bedeutet mir sehr viel. Mehr als ich ausdrücken kann.”
    “Keine Ursache.” Nona gab ihr einen der kleinen Korbböden, an denen Grace gearbeitet hatte. “Das ist das Richtige für den Anfang.”
    Mama June nahm die begonnene Arbeit entgegen und sah sie sich genauer an. Sie dachte an das kleine Mädchen, das daran gearbeitet hatte und das sie schon als Baby im Arm gehalten hatte. Jetzt war sie ein lebhaftes kluges junges Mädchen voller Träume und Wünsche – dieselben Träume und Wünsche, von denen Nan ihr am Tag zuvor erzählt hatte.
    “Wieso machen wir das jetzt erst?”, fragte Mama June.
    “Weil die Zeit vorher nicht reif war”, antwortete Nona sofort. Sie reichte ihr ein Grasbündel. “Nimm dir ein paar von den Gräsern. Genau so. Und nun arbeite sie da hinein, so wie ich es tue.”
    Mama June sah zu, wie Nona geschickt die Grashalme einarbeitete und anschließend mit einem dünnen Streifen Palmblatt umwickelte.
    “Du spinnst es wie einen Faden”, bemerkte Mama June.
    “Genau. Und nun versuch du es.” Nona sah zu, wie Mama June mit den dünnen Halmen kämpfte.
    Sie kam sich ungeschickt vor, als das Gras ihr aus den Fingern glitt. “Bei dir sieht es so leicht aus.”
    Nona schmunzelte. “Du darfst nicht aufgeben. Du bist die Chefin des Korbes!”
    Sie beugte sich vor und beobachtete, wie Mama June allmählich vorankam. Geduldig zeigte sie ihr die richtige Handhaltung und sah zu, wie Mama June ihr Werkzeug durch das Gewebe stieß, um Platz für die nächsten Halme zu schaffen. Konzentriert verwob sie die Halme und umschloss das Gewebe fest mit dem Palmblatt, bevor der nächste Knoten an die Reihe kam.
    Die Zeit verging, während die beiden Frauen Seite an Seite an ihren Körben arbeiteten. Reihe um Reihe wuchs der Rand des Korbes, wurde weiter und weiter, während die Knoten strahlenförmig nach außen liefen wie die Speichen eines Rades.

19. KAPITEL
    “F ootfalls echo in the memory
    down the passage which we did not take
    towards the door that never opened.”
    (T. S. Eliot)
    “In der Erinnerung widerhallen Schritte
    Den Gang entlang, den wir niemals beschritten
,
    Gegen die Tür zum Rosengarten hin
,
    Die wir nie geöffnet.”
    (T. S. Eliot)
    Morgan fuhr den ganzen Nachmittag ziellos durch die Gegend. Auf dem Weg nach Norden, auf dem Highway 17 nach Bulls Bay, fuhr er an blauen Abwasserrohren vorbei, die am Straßenrand lagen, und an bewegungslosen Bulldozern, die wie riesige Tiere auf einem Feld standen und nur darauf warteten, die nächsten Stücke kostbaren Feuchtgebietes zu zerstören. Er fuhr an seinen früheren Lieblingsplätzen im Old Village vorbei und dann nach Shem Creek, wo College-Studenten und junge Angestellte die Bars bevölkerten, die entlang der Docks erbaut worden waren, wo die letzten Krabbenkutter im Hafenwasser dümpelten. Und dann fuhr er über die alte verrostete Grace Bridge, die über den Cooper River nach Charleston führte.
    Die Sonne ging allmählich unter und setzte den Himmel über

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