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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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sie ihn in Schutz nehmen.
    “Ja, natürlich. Nur verstehe ich ihn nicht. Und es ist schon merkwürdig, wenn eine Mutter das über ihren Sohn sagen muss. Er war immer ein so stiller Junge. Er hat mir nie erzählt, was er fühlte oder was er dachte. Wenn ich ihn etwas gefragt habe, hat er immer nur mit einem Wort geantwortet. Ja oder Nein.” Sie zuckte die Achseln. “Natürlich liebe ich ihn. Er ist mein Augapfel, du weißt es. Aber ich mache mir Sorgen um ihn. Er spricht nie mit mir und mit seinem Vater auch nicht. Er hat uns immer ausgeschlossen.”
    “
Euch
ausgeschlossen?”, fragte Nona betont und sah sie eindringlich an.
    Mama June vernahm den scharfen Ton in ihrer Stimme und erwiderte Nonas Blick. Nona hatte aufgehört zu schaukeln und saß aufrecht. Die markanten Linien ihres Gesichts warfen Schatten.
    “Ja”, antwortete Mama June zögernd. “Warum schaust du mich so an? Willst du mir damit etwas sagen?”
    “Gott, vergib mir, aber das will ich. Ich kann einfach nicht mehr hier sitzen und mir anhören, wie du erzählst, dieses Kind hätte
euch
ausgeschlossen. Mary June, in Wahrheit hast
du
diesen Jungen ausgeschlossen am Tag, als dein anderer Sohn gestorben ist! Und du musst das gar nicht erst abstreiten.”
    “Nona!” Mama June sprang auf.
    “Setz dich hin und hör mich zu Ende an, Mary June!”
    Mama June erstarrte.
    Nona beugte sich vor und sah sie eindringlich an. “Du sagst, dass du ihn nicht verstehst. Das stimmt absolut. Auch dass er ruhig ist und so weiter. Morgan war die ganze Zeit hier vor deinen Augen. Es ist höchste Zeit, dass du deine rosarote Brille abnimmst und deinen Sohn so siehst, wie er
wirklich
ist.”
    Mama June hörte keine Wut in Nonas Stimme. Denn dann wäre sie schnurstracks davongelaufen. Was sie hörte, war die schonungslose Aufrichtigkeit einer Freundin, die sich verpflichtet fühlte, ihr die Augen zu öffnen. Mama June griff nach der Armlehne ihres Schaukelstuhls und setzte sich wieder. Sie
musste
bleiben. Sie
musste
zuhören. Sie konnte sich nicht entziehen. Nona kannte Morgan seit dem Tag seiner Geburt und liebte ihn ebenso wie sie. Und wenn Mama June auf irgendeine Meinung etwas gab, dann auf die von Nona. Trotzdem schluckte sie. Sie konnte an Nonas Augen sehen, wie ungern sie hören würde, was jetzt kam.
    “In Ordnung. Ich höre.”
    Nona setzte sich in ihrem Stuhl zurecht. “Du fragst dich, warum er nie mit dir gesprochen hat?” Sie machte eine Pause und sah Mama June viel sagend an. “Das liegt daran, dass du ihn nie hast sprechen lassen! Ich habe früh kommen sehen, was passierte. Als er klein war, waren du und Mr. Preston viel zu sehr in euren eigenen Schmerz versunken, um euch um euren Sohn zu kümmern. Preston war ständig auf den Feldern und unablässig mit Sweetgrass beschäftigt. Er hat nur mit dem Jungen gesprochen, wenn er ihm Anweisungen gegeben hat.”
    “Ich weiß, wie streng er mit ihm sein konnte.”
    “Schieb nicht die Schuld auf ihn. Du warst genauso wenig für Morgan da.”
    “Wie kannst du so etwas sagen?”
    “Erzähl mir nichts. Ich war schließlich die ganze Zeit hier! Ich war diejenige, in deren Armen dieser Junge geweint hat, bis er endlich eingeschlafen ist, wenn du eine deiner ‘Pausen’ hattest. Ich habe ihn umsorgt und ihm Essen gekocht, als seine Mutter dazu nicht mal für sich selbst in der Lage war. Ich habe mit ihm über alles geredet, auch wenn ich dachte, es würde mir das Herz brechen. Mama June, dieser Junge hat sich selbst gehasst!”
    “Nein, das hat er nicht!” Es war weniger ein Widerspruch als der Ausdruck tiefsten Schmerzes.
    “Oh doch, das hat er. Vielleicht tut er es immer noch. Er fühlte sich schuldig, weil sein Bruder starb und er selbst noch lebte. Das war viel zu viel für einen kleinen Jungen, um allein damit zurechtzukommen.”
    “Warum habe ich davon nie etwas erfahren?”, weinte Mama June und umklammerte die Armlehnen ihres Schaukelstuhls. “Warum hat er mir nichts davon erzählt?”
    “Weil du es nicht hören wolltest!” Nona streckte den Arm aus und legte ihre Hand auf Mama Junes. “Liebes, du warst so tief in der Dunkelheit versunken, dass du nicht sehen konntest, was in deinem eigenen Haus vor sich ging. Es waren schlimme Zeiten, Mary June. Etwas Schlimmeres kann eine Mutter kaum durchmachen. Wir haben alle getrauert, aber keiner so sehr wie du. Ich bete jeden Tag zu Gott, dass er mir einen solchen Kummer ersparen möge.”
    Mama June entzog Nona ihre Hand und griff nach einem Taschentuch

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