Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
Vom Netzwerk:
in ihrer Schürze. Sie wischte sich die Augen ab und schniefte.
    Nona seufzte und nahm einen tiefen Atemzug. Es musste noch mehr gesagt werden. “Wenn du stark genug bist und deinen Jungen wirklich liebst, wirst du die Wahrheit erkennen: Als du um deinen toten Sohn getrauert hast, hast du den Sohn vernachlässigt, der noch lebte. Ich will damit nicht sagen, dass du ihm wehtun wolltest, aber es ist geschehen.”
    “Aber wie? Ich habe ihn doch immer geliebt. Und ich habe ihn nie verantwortlich gemacht! Es war ein Unfall.”
    “Du hast ihn nicht mit Worten verantwortlich gemacht. Doch schon das ist ein Stück weit das Problem, verstehst du? Niemand in diesem Haus durfte Hamlins Namen auch nur erwähnen. Und mit Preston war es nicht besser. Er hat sich verschlossen wie eine Auster im Eiswasser, sobald Hamlins Name gefallen ist. Und diese Stille, dieses Schweigen faulte und stank und hat jeden in dieser Familie krank gemacht. Morgan hat sich nie damit auseinandersetzen können, hat nie mit euch über seinen Schmerz und seine Gefühle reden können. Er hat alles für sich behalten, und das hat ihn innerlich kaputtgemacht.”
    Mama June schlug ihre Hände vors Gesicht, und Tränen rannen ihr unablässig über die Wangen.
    “Ich sage dir, wer dein Sohn ist”, sagte Nona leise. “Morgan hat ein gutes Herz. Man kann es an dem Kind sehen, das sich liebevoll um Tiere kümmert. Wie es sie streichelt oder wie es einen verwundeten Vogel mit nach Hause bringt oder wie es mit einem Hund rausgeht, um den sich sonst keiner mehr kümmert.”
    Mama June nickte, als sie sich erinnerte. Ihr Gesicht entspannte sich ein bisschen.
    “Und er hat sich um seine Familie gekümmert”, fuhr Nona sanft fort. “Er weiß, was er seiner Familie schuldig ist. Er weiß, was zählt. Du sagst, er sei ruhig? Das ist er, weil er beobachtet. Ich habe gesehen, wie er eure Gesichter beobachtet hat, als ihr beim Essen geredet habt. Seine Augen sehen alles. Er weiß, wer leidet, und er leidet mit. Und er bemüht sich, niemanden wütend zu machen.”
    Mama June hörte auf zu schaukeln. “Er hat sich bemüht,
mich
nicht wütend zu machen.”
    “Vor allem dich. Aber Preston genauso. Und Nan. Morgan hat die Schuld an Hamlins Tod auf sich genommen. Und er hat sie für die ganze Familie getragen. Es ist kein Wunder, dass er irgendwann wegmusste. Wenn er geblieben wäre, wäre er unter dieser Last zusammengebrochen. Ich an seiner Stelle wäre auch fortgegangen.”
    “Mein armer Junge …”
    “Er ist kein Junge mehr!”, rief Nona und warf ihre Hände in die Luft. “Er ist ein erwachsener Mann. Und du und Preston, ihr müsst das endlich akzeptieren. Und die Tatsache ist, dass er eure letzte Hoffung auf Rettung ist.”
    Nona erhob sich ganz langsam und fühlte sich dabei so alt wie die Sümpfe. Sie legte sich die Hand auf den Rücken, während sie sich streckte, weil ein alter Schmerz sie wieder überkam.
    “Nun, das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.”
    Mama June konnte nicht antworten.
    Nona stand mit verschränkten Armen da und beobachtete, wie ein paar Pelikane tief über das Marschland flogen. Mama June hatte den Kopf in die Hände gestützt.
    “Möchtest du einen Kaffee?”, fragte Nona. “Oder etwas Eiswasser?”
    “Nein”, antwortete Mama June tonlos. “Danke. Ich bleibe hier einfach noch ein Weilchen sitzen.”
    Nona schaute sie forschend an, sah aber nichts, was sie beunruhigt hätte. Sie blickte wieder übers Land hinaus. Die Sonne stand am Himmel, und auf dem Wasser brach sich glitzernd ihr Licht.
    Eine Stunde später kam Nona wieder auf die Veranda, um nach ihrer Freundin zu sehen. Mama June saß noch immer in ihrem Schaukelstuhl, aber sie hatte aufgehört zu weinen. Sie sah hinaus nach Blakely’s Bluff.
    “Darf ich mich zu dir setzen?”
    Mama June fuhr zusammen, und als sie aufblickte, schienen ihre rotgeränderten Augen leblos. Sie seufzte schwer.
    “Natürlich.”
    Nona setzte sich und griff in die Stofftasche, die neben ihrem Schaukelstuhl stand. Darin waren ihr Handwerkszeug und der Korb, an dem sie gerade arbeitete. Sie holte einen gewundenen Blumenkorb hervor, der einen hübschen breiten Griff hatte. Er war fast fertig. Sie betrachtete, wie fest und gleichmäßig die Palmblätter verarbeitet waren. Die dicken Blätter der dunklen Binsengräser dazwischen gaben dem Korb Halt. Nona mochte besonders die großen Stücke. Sie sahen gut aus und kamen am Highway besonders gut zur Geltung.
    Nona legte den Korb beiseite, griff noch

Weitere Kostenlose Bücher