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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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dem Wasser in Flammen. Vor diesem Hintergrund wirkte es geradezu einschüchternd, wie die neue Brücke sprichwörtlich auf den beiden alten Brücken errichtet wurde. Die riesige Stahlkonstruktion schien unglaublich rasch zu wachsen, immer höher gen Himmel, wie eine Jakobsleiter. Diese Brücke würde das Leben aller Einwohner von Charleston für immer verändern.
    Die riesige neue Brücke ließ die alte Brücke winzig aussehen, die er sein Leben lang so geliebt hatte. Sie war mit der Geschichte der Stadt so sehr verbunden, dass er sich kaum vorstellen konnte, wie Charleston ohne den Blick auf diese Brücke aussehen würde.
    Er seufzte, wie immer, wenn in ihm widerstreitende Gefühle tobten angesichts des atemberaubenden Wandels entlang der Küste hier im Süden. Seine Eltern und ihre Freunde sind ein bisschen wie diese alte Brücke, dachte er und sah leidenschaftslos aus dem Fenster. Sie waren im gleichen Alter, sie waren alt und gebrechlich, und sie waren ein Teil des Lowcountry, der unaufhaltsam verschwand.
    Er erreichte den höchsten Punkt der Brücke und sah auf den Cooper River hinunter. Der Hafen stand voller Container, die für eines der riesigen Schiffe bestimmt waren, die Waren über den Ozean brachten. Sie waren ein Zeichen für Wachstum, Wohlstand und Fortschritt. Unter der Brücke kräuselte sich das Wasser.
    Morgan dachte an die U-Boote, die während des Kalten Krieges unter dieser Brücke entlanggefahren waren. Manche von ihnen waren Atom-U-Boote gewesen, die genug Sprengsätze an Bord hatten, um die ganze Welt in Schutt und Asche zu legen. Das hat Charleston bei den gegnerischen Ländern auf der Liste wichtiger Angriffsziele mit Sicherheit ganz oben stehen lassen, dachte er. Natürlich war darüber nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen worden. Eigentlich hatte niemand wissen sollen, dass diese U-Boote in Charleston stationiert waren. Sein Bruder hatte ihn oft aufgezogen, wenn sie über die Brücke gefahren waren und gerade eines der U-Boote darunter hindurchfuhr. Für einen kleinen Jungen war das ein ziemlich Furcht einflößender Anblick gewesen. Die Boote hatten riesig ausgesehen und waren wie gigantische Haie unter der Brücke hindurchgeglitten. Doch Hamlin hatte keine Angst vor ihnen gehabt. Hamlin hatte vor fast gar nichts Angst gehabt.
    Morgan griff nach der Bourbonflasche in der braunen Papiertüte neben sich und nahm einen Schluck. Sein Bruder war sein ständiger Begleiter auf dieser Fahrt. Schon den ganzen Nachmittag über spürte er seine Anwesenheit, als säße er ruhig atmend neben ihm. Sein Bruder bestimmte, wo es langging, so wie er es immer getan hatte.
    Als die Sonne unterging und die Dunkelheit sich über die Stadt senkte, wunderte er sich daher nicht weiter, als er sich auf der Schotterstraße nach Blakely’s Bluff wiederfand. Zypressen, Tupelo-Gummibäume, große Lebenseichen, zahllose Sumpfkiefern und Fächerpalmen umgaben ihn wie ein Dschungel. In der sternlosen Finsternis konnte er keine drei Meter weit sehen, und er verfluchte lauthals seinen Bruder, während er vorgebeugt das Lenkrad festhielt und angestrengt nach vorne blickte. Die Straße schlängelte sich durch die Sümpfe, und ein paarmal wäre er fast im Straßengraben gelandet – ein gefundenes Fressen für die Alligatoren.
    Die Mücken hatten sich längst über ihn hergemacht. Er hatte die Fenster heruntergekurbelt, um der drückenden Hitze zu entgehen, und die Mücken taten sich gütlich an ihm. Frösche quakten überall, und ihr Gesang verschmolz mit dem Gezirpe der Grillen, der Zikaden und der Laubheuschrecken.
    Eine frische Meeresbrise kündigte an, dass er Blakely’s Bluff fast erreicht hatte. Und plötzlich öffnete sich der enge Schlauch der Straße, und er fuhr ins Freie hinaus. Die Mondsichel drang durch die samtene Schwärze der Nacht, und er erkannte schemenhaft die Umrisse eines großen Hauses, das sich mutig den dunklen schnell vorbeiziehenden Wolken entgegenreckte.
    Bluff House. Er spürte, wie ein Schaudern seinen Körper durchfuhr. Vor dem Nachthimmel stand das Haus, in den Schatten seine Geheimnisse verbergend, und warnte ihn vor dem Näherkommen. Bei diesem Anblick schlug eine Woge der Erinnerung über ihm zusammen.
    Er stoppte den Wagen und starrte mit klopfendem Herzen hinaus. Der alte Motor rumpelte weiter, während unzählige Mücken, von den Scheinwerfern angezogen, selbstmörderisch gegen die Windschutzscheibe prallten. Morgan stellte den Motor ab, und mit einem Mal war alles still. Nur noch

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