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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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losgelassen.”
    Er hörte Hamlin wieder lachen.
Ach ja, Kleiner, na klar
.
    “Doch, hätte ich!”
    Das Lachen verstummte, und die Stimme wurde ganz sanft.
Du hast doch versucht, mich zu erreichen
.
    “Ich wusste, dass es vergebens war. Aber ich wollte dich festhalten. Um dich zu retten.”
    Ich war dein großer Bruder. Ich hätte mich um dich kümmern müssen
.
    “Das hast du.”
    Ja, das stimmt, Kumpel. Ich habe dir die Schwimmweste gegeben
.
    “Ich habe nach dir gesucht! Aber ich habe dich nicht mehr gefunden.” Morgans Augen füllten sich mit Tränen, und er begann zu weinen. “Ich konnte nichts machen. Ich trieb da irgendwo umher, immer weiter weg. Die Wellen haben mich überrollt, und ich wäre fast daran erstickt. Ich konnte nichts tun.”
    Du hast überlebt
.
    Nach ein paar Minuten beruhigte Morgan sich und konnte antworten. “Ja. Ich muss geschwommen sein. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann in einem Bach war. Die Flut ging zurück, und ich habe mich einfach irgendwo festgehalten, so gut ich nur konnte. Ich wurde von den Muschelbänken ziemlich zerschnitten, aber ich habe mich festgehalten, bis ich gerettet wurde.”
    Und wer ist gekommen? Wer hat dich gerettet?
    Morgan schwieg und fühlte den Nebel zurückkommen. Er sah, wie ein Boot näher kam. Er hörte, wie jemand seinen Namen rief, und schrie zurück: “Ich bin hier! Ich bin hier!” Er spähte angestrengt durch den Nebel, um zu erkennen, wer da nach ihm rief. Plötzlich lichtete sich der Nebel, und er sah, wie ein Mann die Hand ausstreckte und nach ihm griff und immer wieder rief: “Morgan! Morgan!”
    Nicht Hamlin. Morgan
.
    “Es war mein Vater, der mich gesucht hat. Er hat mich aus dem Wasser gezogen.”
    Das stimmt, Brüderchen. Das solltest du nie vergessen
.
    Morgan bekam keine Luft mehr. Er konnte nicht antworten.
    Vergiss mich bitte nicht
.
    Draußen vor dem Fenster fuhr der Wind durch die Sumpfgräser und ließ die langen Blätter der Fächerpalme gegen die Hauswand klatschen. Morgan schloss fest die Augen, streckte seine Hand aus, in die leere Dunkelheit, die ihn umgab, und begann zu weinen.
    Mama June erwachte. Ihr Mann schlief noch. In der Nacht war sie in sein Zimmer geschlichen und zu ihm ins Bett gekommen. Sie hatte sich nach seiner Wärme und Stärke gesehnt, und er hatte ihr beides gern geschenkt. Er hatte seinen gesunden Arm um sie gelegt und sie fest an sich gedrückt. So lagen sie aneinandergekuschelt, während sie weinte und ihm erzählte, was passiert war.
    Sie sorgte sich zu Tode, als Morgan nicht nach Hause gekommen war. Sie wollte die Familie alarmieren, um nach ihm zu suchen. Aber Nonas Worte hatte sie zurückgehalten:
Er ist kein kleiner Junge mehr. Er ist ein erwachsener Mann! Das müsst ihr akzeptieren, du und Preston
.
    Also hatte sie in den Armen ihres Mannes gewartet und Kräfte gesammelt. Als die ersten zarten Sonnenstrahlen durchs Fenster drangen, schlich sie sich vorsichtig aus Prestons Bett, um ihn nicht aufzuwecken, und ging heimlich in ihr Zimmer. In der Dämmerung zog sie sich an. Sie nahm, was ihr zwischen die Finger kam, und schlüpfte mit bloßen Füßen in ihre Turnschuhe. Sie wusste genau, wo sie Morgan suchen musste. Es gab nur einen Ort, an dem er sein konnte.
    Die Morgenluft war kühl, als sie nach draußen trat und ihr Gesicht der aufgehenden Sonne entgegenstreckte. Ihr Vorsatz wurde zur Entschlossenheit, als sie über den feuchten Rasen zum alten Holzschuppen lief und ihr altes rotes Fahrrad herausholte. Die Farbe blätterte ab, und der alte Weidenkorb war kaputt, aber die Reifen waren frisch aufgepumpt. Sie wollte die Familie nicht mit dem Geräusch eines Automotors wecken, also schwang sie sich auf ihr altes Rad und fuhr zur Schotterstraße, die hinaus nach Blakely’s Bluff führte.
    Kraftvoll trat sie in die Pedale und sauste am Rand der Sümpfe entlang. Grün schimmernd wie die Sümpfe flogen ihr Libellen entgegen, die zwischen den Büschen und Zweigen Mücken jagten. Sie dachte an das letzte Mal, als sie es ähnlich eilig hatte, nach Bluff House zu kommen. Die Geschichte wiederholte sich – sie erlebte das am eigenen Leib –, und Angst erfasste sie.
    “Lieber Gott, lass mich ihn wohlauf vorfinden. Und wenn ich ihn finde, gib mir die Kraft, mit ihm zu sprechen.”
    Während sie in die Pedale trat, trug ihre Erinnerung sie zurück zu jenen Tagen, die sie auf Blakely’s Bluff verbracht hatte – nicht mit Tripp, sondern mit seinem Sohn Hamlin und mit Morgan

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