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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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durchgemacht hast an jenem Tag dort draußen. Jetzt ist mir das klar.”
    Er zuckte zurück. “Ich will nicht darüber sprechen.”
    “Aber das
musst
du. Es beeinflusst alles, was du siehst, alles, was du tust! Und ich muss dich darüber sprechen lassen. Du und ich, wir haben jeden Gedanken daran, was an jenem Tag geschehen ist, vermieden. Sobald wir traurig wurden oder irgendjemand davon anfing, haben wir uns verschlossen. Wir haben es nicht an uns herangelassen. So wie wir nicht mehr hierhergekommen sind, weil es uns so schmerzlich an jenen furchtbaren Tag erinnert hat.”
    Er schwieg.
    “Es macht Hamlin vielleicht nicht wieder lebendig, doch es bringt die Erinnerung an ihn zurück, und wir können wieder gemeinsam an ihn denken. Über ihn reden. Damit wir uns auch an die guten Zeiten erinnern können. Und, Morgan, wir hatten so schöne Zeiten miteinander.”
    Tränen traten in seine Augen, und er senkte den Blick. “Ich vermisse ihn.”
    “Das tue ich auch. Und ich habe
dich
so vermisst. Ach, Morgan, manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich an jenem Tag meine beiden Söhne verloren.”
    Morgan schluckte, und seine Schultern erbebten.
    Mama June spürte, wie die Trauer ihr die Luft zum Atmen zu rauben schien, aber sie zwang sich weiterzusprechen. “Ich bin deine Mutter, und ich habe an dir versagt. Ich habe dich alleingelassen. Es tut mir leid. Bitte, gib mir eine zweite Chance.”
    “Es war nicht deine Schuld, Mama”, flüsterte er. “Es war meine. Ich bin schuld.”
    “Das stimmt nicht, Morgan! Es war auch nicht meine Schuld. Und nicht einmal Hamlins. Es war ein Unfall. Es ist einfach passiert. Und wenn wir weiter versuchen, jemanden dafür verantwortlich zu machen, auch uns selber, kommen wir nie darüber hinweg. Dann bleiben wir verwundet und kommen mit unserem Leben nicht zurecht.”
    Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und nahm einen tiefen Atemzug, entschlossen, ihren Sohn zu retten.
    “Wir werden an diesen Tränen
nicht
ersticken, Morgan”, sagte sie beschwörend und fasste ihn an den Schultern, damit er sie ansah. “Ich bin froh, dass du diese Briefe gefunden hast. Hörst du mich? Ich bin froh darüber! Es hat genug Geheimnisse zwischen uns gegeben. Damit muss Schluss sein! Wir müssen ehrlich miteinander reden, selbst wenn die Wahrheit wehtut.” Sie musste lachen. “Und selbst wenn dir die Wange wehtut.”
    Er lachte auf und schüttelte den Kopf. “Ich bin zu weit gegangen. Das tut mir leid.”
    “Ach, Morgan”, erwiderte sie unendlich erleichtert. “Wir machen alle Fehler, die wir bereuen. Trotzdem sind wir gute Menschen. Ich werde dir alles erzählen, damit du verstehst, was passiert ist. Warum wir uns so entschieden haben. Wir lieben uns. Wir sorgen uns um uns. Und das ist es, worauf es in einer Familie ankommt.”
    “Ich liebe dich, Mama.” Seine Stimme zitterte.
    Ihr Herz öffnete sich so weit, dass sie dachte, es würde zerspringen. Sie sah in seine blauen Augen, verletzlich, aber voll Willen zu vertrauen, betrachtete seine braunen Locken und sein Gesicht, auf dem seine Tränen Spuren hinterlassen hatten. Sie erinnerte sich an den kleinen Jungen, der er einst war, schob den Gedanken jedoch rasch beiseite.
    Er fuhr sich über die Augen und setzte sich auf den Rand des Stegs. Dann überraschte er sie, als er neben sich auf die Holzplanken klopfte, damit sie sich zu ihm setzte. Sie war ihm unendlich dankbar für diese kleine Geste und ließ sich auf dem warmen Holz nieder.
    “Ich habe letzte Nacht von Ham geträumt”, begann er schließlich. Er hielt seinen Blick starr auf das Wasser gerichtet, doch sie sah einen Muskel an seiner Wange zucken. “Er war hier.”
    Sie schluckte, aber sie glaubte ihm. “Willst du mir davon erzählen?”
    Die Anspannung wich aus Morgans Gesicht, und er sah erstaunt aus, weil sie ihn gebeten hatte, von seinem Bruder zu erzählen. Zum ersten Mal.
    Stockend begann er zu sprechen. Mama June ließ die Beine vom Steg baumeln und hörte aufmerksam zu. Als er geendet hatte, war er erschöpft. Behutsam ergriff Mama June die Hand ihres Sohnes, stand zusammen mit ihm auf und ging mit ihm nach Bluff House. Dort führte sie ihn zu dem großen Bett, das vor dem offenen Fenster stand, durch das die Meeresbrise hereinwehte. Sie packte ihn ins Bett und strich ihm liebevoll das Haar aus der Stirn.
    “Nun kannst du schlafen. Schließ die Augen”, sagte sie mit beruhigender Stimme. “Ich werde dir eine Gutenachtgeschichte erzählen.”
    Er schloss

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