Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
Vom Netzwerk:
die Augen, und sein Gesicht entspannte sich.
    Sie saß in einem alten Stuhl neben dem Bett und atmete tief ein. Es ist nie zu spät, seinem Kind eine Gutenachtgeschichte zu erzählen, sagte sie sich.
    “Es war einmal ein Schloss”, begann sie, “das tief im Wald stand, wo man es kaum finden konnte. Das Land um das Schloss herum war verwüstet, und die Menschen sorgten sich, weil der König sehr krank war.”
    Morgan öffnete ein Auge. “Ist das Parzival?”
    “Kennst du die Geschichte?”
    “Du hast sie mir vor einer Million Jahren schon mal erzählt.”
    “Dann sei still und lass sie mich noch einmal erzählen.”
    Er machte das Auge wieder zu.
    “Moment, wo war ich stehen geblieben?” Sie überlegte einen Moment und fing im sanften Singsang einer Märchenerzählerin an zu sprechen.
    “Parzival wurde von seiner Mutter in der Einsamkeit des Waldes aufgezogen. Sie wollte ihren Sohn nicht gehen lassen, aber Parzival war wie sein Vater ein aufrechter Mann und wollte Ritter werden. Also verließ er sein Zuhause gegen den Willen seiner Mutter und hatte nur einen flüchtigen Abschiedskuss für sie übrig. Viele Jahre lang wanderte er im Wald umher. Weil er jedoch eine reine Seele war, durfte er eines Tages das verzauberte Schloss des kranken Königs sehen. Der König wurde auch der Fischerkönig genannt, weil er ein außergewöhnlich geschickter Angler war. Dieser König war der Wächter des Heiligen Grals. Aber der Fischerkönig lag im Sterben und war stumm geworden.”
    Morgan hörte aufmerksam zu.
    “Als Parzival in das Schloss kam, ging er zu dem Fischerkönig. Doch er war so überwältigt von einer merkwürdigen Vision, dass er die eine, die wichtigste Frage zu stellen vergaß.”
    “Was war denn diese Frage?”
    “
Was plagt dich?
Und weil er es versäumt hatte, nach dem Leiden des Königs zu fragen, war das Schloss, als Parzival am nächsten Morgen wieder erwachte, verschwunden. Nach vielen weiteren Jahren der Wanderung, in denen unser Held viel erleiden musste und viele Prüfungen über sich ergehen ließ, erlangte Parzival Weisheit. Und so kam es, dass ihm seine eigenen Anstrengungen dazu verhalfen, dass er das Schloss abermals betreten durfte.”
    “Und was ist dann passiert?”
    “Es gibt verschiedene Versionen, wie diese Geschichte ausgeht.”
    “Bitte nicht so was, wo man sich selbst das Ende ausdenken muss. Dann schlaf ich ganz bestimmt nicht ein. Erzähl mir einfach das Ende, das
dir
am besten gefällt.”
    Sie schmunzelte ein wenig. “Nun, ich glaube, dass Parzival irgendwann herausgefunden hat, dass das Leiden zum Leben dazugehört. Als er eine zweite Chance bekam, folgte er seinem noblen Herzen. Er kam ins Schloss und stellte aus tief empfundener Liebe und echtem Mitgefühl die richtige Frage. Dadurch verhalf er dem König zu seiner Genesung und rettete das Schloss.” Sie zuckte die Schultern. “Aber egal wer die Geschichte erzählt, am Ende wird Parzival König.”
    “Kein schlechtes Ende.”
    “Ich habe mir schon gedacht, dass es dir gefallen könnte.” Sie stand auf, kam ans Bett und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. “Jetzt schlaf ein, mein Kind. Ruh dich aus. Und wenn du aufwachst, fahren wir nach Hause. Dein Vater wartet auf uns.”

20. KAPITEL
    “W enn wir nicht die Art unseres Wachstums ändern, werden wir auch die letzten Überreste von dem vernichten, was wir an dieser Küste so lieben. Es gibt keine Alternativen zu den Übergriffen der Zivilisation – aber über die Art und Weise lässt sich nachdenken.”
    (Dana Beach, South Carolina Coastal
    Conservation League)
    Als Morgan nach Hause zurückkehrte, ging er als Erstes zu seinem Vater.
    Preston saß in seinem Rollstuhl und schaute aus dem Fenster. Die eine Hand lag auf Blackjacks breitem Kopf, und die weiße Haut bildete einen scharfen Kontrast zum schwarzen Fell des Hundes. Auch sein Gesicht war blass und hing an einer Seite unnatürlich weit nach unten. Morgan kam sein Vater wie ein leidender König vor, den eine Welt von Siechtum umgab.
    Als Morgan eintrat, begannen die blauen Augen seines Vater zu leuchten und schienen fast so strahlend wie der azurblaue Himmel draußen vor dem Fenster. Sein Mund bewegte sich ein bisschen, und seine linke Hand hob sich ein wenig zur Begrüßung.
    Morgan kam zu seinem Vater und kniete sich vor seinen Stuhl, sodass sie sich in die Augen blicken konnten. Sein Vater streckte seine gesunde Hand aus und legte sie auf Morgans Schulter. Die Geste war unbeholfen, aber die Hand griff

Weitere Kostenlose Bücher