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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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und Nan. Aber vor allem mit Preston. Jetzt endlich konnte sie an diese glücklichere Zeit denken, ohne schwermütig zu werden. Sie und Preston hatten eine gute Familie gegründet. Aus der Asche hatten sie eine starke Ehe geformt. Und wie glücklich waren sie gewesen! Wie hätten sie auch annehmen sollen, dass das Schicksal ein zweites Mal unerbittlich zuschlagen würde.
    Viel zu lange hatte sie in der Trauer verharrt. Nicht, dass sie je vergessen würde oder der Schmerz verschwinden würde. Aber Mama June fürchtete die Angst nicht mehr. Und das musste bedeuten, dass sie gesund wurde. Und alt. Vielleicht konnte man im Alter nicht mehr all die Freuden erleben, die man in seiner Jugend genossen hatte, überlegte sie – aber wenigstens verstand man sie und wusste sie zu schätzen.
    Ihre Beine wurden müde, und ihr Herz klopfte, als die Straße nach rechts abbog und sie aus dem Dschungel des dichten Gehölzes ins Freie fuhr. Geradeaus erstreckte sich das Meer mit seinem blaugrauen Wasser, das am Horizont kobaltblau wurde. Der Himmel war wolkenlos, und die Sonne ging gerade auf. Ihr Licht ließ das Wasser bereits glitzern.
    Mama June hatte vergessen, wie schön es auf dem Kliff war. Und wie sehr sie es geliebt hatte.
    Sie strich sich eine schweißnasse Locke aus der Stirn und nutzte ihre letzte Kraft für die restlichen Meter zum Haus. Dort angekommen bemerkte sie, dass das Wetter sein Bestes getan hatte, um das graue Holz des Hauses verwittern und die weiße Farbe der Veranda abblättern zu lassen. Hätte das Haus nicht so eine starke eindrucksvolle Erscheinung besessen, hätte es wohl noch viel verwahrloster gewirkt. Die hübschen Blumenkästen voll blühender Geranien und Petunien auf der vorderen Veranda taten ein Übriges, um Eindruck zu machen.
    Sie lehnte das Fahrrad gegen die Brüstung der Veranda und lief die Stufen zu Bluff House hinauf – zum ersten Mal seit vielen Jahren.
    Drinnen waren die luftigen, sparsam möblierten Räume erstaunlich sauber. Die Böden waren gewischt und die Spinnweben entfernt, und in glänzenden Sturmlichtern steckten neue Kerzen. Der saure Geruch alter Asche war einem frischen Duft gewichen, und als sie in die Küche kam, sah sie, dass die alte angeschlagene Porzellanspüle geputzt war. Auf dem Fensterbrett standen kleine Tontöpfchen mit Kräutern. Das musste Kristina gewesen sein, dachte sie voller Dankbarkeit für die Aufmerksamkeit dieser Frau.
    “Morgan!”, rief sie dann. “Morgan, bist du da?” Sie bekam keine Antwort. Doch sie konnte nicht glauben, dass er nicht hier war. Sie war sich so sicher gewesen. Die Fenster standen weit offen, und sie ging ungeduldig hin und rief noch lauter: “Morgan!”
    “Hier draußen!”
    Ihr Herz hüpfte vor Erleichterung, und sie ging der Stimme nach nach draußen. Im Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, und sie drehte ihren Kopf zu dem langen verwitterten Steg, der weit über den Sumpf zum Meer hinausführte. Dort draußen konnte sie unzweifelhaft die Umrisse ihres Sohnes ausmachen, der mit bloßen Füßen am Ende des Stegs stand, das offene Hemd im Wind flatternd, die Hosenbeine bis zum Knie hochgekrempelt. Sie winkte. Aber er winkte nicht zurück.
    Der Steg schien endlos lang, als sie über das zersplitterte Holz ihrem Sohn entgegenlief. Er wandte sich wieder ab und blickte über das Meer, als wolle er seine Mutter nicht sehen. Trotzdem lief sie weiter. Sie hatte immer gedacht, wie ähnlich er Preston sah, aber im Profil erkannte sie die Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Gesicht.
    Ich muss aufhören, andauernd Vergleiche zu ziehen, sagte sie sich. Morgan war nicht wie irgendjemand. Er war er selbst. Ab heute würde sie ihn so sehen, wie er war.
    Als sie schließlich bei ihm war und ihn am liebsten umarmt hätte, hielt seine abweisende Körperhaltung sie davon ab. “Ich dachte, dass ich dich hier finden würde”, begann sie leise.
    Er drehte sich zu ihr um, und sie erschrak, als sie die schwarzen Ringe unter seinen geröteten Augen sah, die in seinem unrasierten blassen Gesicht noch deutlicher hervortraten. Er roch nach Alkohol und einer schlimmen Nacht.
    “Bist du in Ordnung?”
    Er nickte. “Ja”, antwortete er mit brüchiger Stimme.
    “Morgan”, sagte sie zögernd. “Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest.”
    Er drehte den Kopf und starrte wieder aufs Meer.
    Sie rang ihre Hände, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
    “Es war falsch, nicht mit dir über Hamlin und seinen Tod zu sprechen, und das, was du

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