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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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undeutlichen Umrissen der Sümpfe ausmachen konnte. Er erstreckte sich weit hinaus, bis dorthin, wo das Meer die Gräser erreichte und der Himmel in den Horizont überging. Die Landschaft schien sich in all den Jahren seiner Abwesenheit nicht verändert zu haben – jedenfalls nicht innerhalb der Grenzen von Sweetgrass.
    Insgeheim hatte er von seinen Eltern erwartet, dass auch sie dieselben blieben. Doch heute hatte er zum ersten Mal gesehen, wie die Zeit die Menschen verändert hatte, die er einst geliebt und dann verlassen hatte.
    Er fuhr sich mit den Händen aufgewühlt durchs Haar. Zu ihm war die Zeit ebenso ungnädig gewesen. Die unsteten Jahre hatten ihm nicht die Antworten gebracht, die er sich erhofft hatte. Diese Antworten lagen nicht auf der Straße und nicht in den Bergen von Montana. Das war ihm heute, als er bei seinem Vater am Krankenbett gesessen hatte, mit einem Schlag bewusst geworden. Als er in diese Augen gesehen hatte, die so intensiv leuchteten, waren die Ausreden weggeschmolzen, und er hatte erkannt, dass die Antworten auf seine Fragen
hier
zu finden waren, in Sweetgrass, bei seinem Vater.
    “Ach, verdammt”, murmelte er, nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und warf die Flasche in die Dunkelheit. Als sie aufschlug und in tausend Scherben zersprang, fühlte er sich etwas besser.
    Hinter ihm öffnete sich knarrend die Haustür.
    “Morgan? Da bist du ja. Ich habe ein Geräusch gehört.” Mama June schloss die Tür hinter sich und kam zu ihm auf die Veranda.
    “Ich rauche bloß noch eine Zigarette.”
    “Danke, dass du draußen rauchst.” Mama June zog den Ausschnitt ihres Pullovers zu und kam näher.
    Er sah sie von der Seite an. Seine Mutter wirkte klein und zerbrechlich, wie sie da neben ihm stand, viel mädchenhafter als in seiner Erinnerung. “Bisschen kühl heute Nacht.”
    “Aber sternenklar. Schau nur, wie die Venus mit dem Mond flirtet!”
    Der Mond stand als helle Sichel in einem Streifen dunklen Samtes. Eine leuchtende Venus betonte die Mondsichel wie ein Schönheitsfleck den Mundwinkel einer Kurtisane.
    “Wie geht es ihm heute?”, fragte sie. “Es war das erste Mal, dass ich nicht bei ihm war.”
    “Ich glaube, es geht ihm genauso wie bei deinem letzten Besuch.” Er streifte die Asche ab und zog wieder an seiner Zigarette. “Doch ganz sicher ging es ihm schlechter als an dem Tag, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.”
    Sie sah ihn betroffen an, und er wusste, dass sie den Bourbon in seinem Atem gerochen hatte.
    “Ich war ein bisschen besorgt, wie du reagieren würdest”, sagte sie langsam. “Bist du in Ordnung?”
    “Klar.”
    “Verstehe.”
    Er wusste, dass sie verstand.
    “Es war verdammt hart, ihn so zu sehen.”
    “Ich habe versucht, dich darauf vorzubereiten.”
    “Wie kann man jemanden darauf vorbereiten?”
    Sie seufzte. “Das ist wahrscheinlich der Grund, warum Nan und die Jungs ihn so selten besuchen.”
    Morgan schluckte seine Erwiderung herunter, als er an seiner Zigarette zog. Der Rauch brannte in seiner Lunge. Er ließ die Zigarette fallen und trat sie mit dem Absatz aus. “Hast du noch einmal über unser Gespräch von heute Morgen nachgedacht?”
    Sie wirkte verunsichert. Langsam wandte sie sich ab und griff nach dem Geländer der Veranda. “Ich habe an kaum etwas anderes gedacht.”
    “Bist du zu einem Ergebnis gekommen?”
    Einen Moment lang starrte sie in die Dunkelheit. Als sie ihn wieder ansah, lag Neugierde in ihrem Gesicht. “Sag mir, Morgan: Was hast du gesehen, als du ihm heute in die Augen geschaut hast?”
    Er atmete bedächtig aus. “Ich glaube, ich habe in Daddys Augen noch nie Furcht gesehen. Bis heute.”
    “Das habe ich auch gesehen!”, erwiderte sie und fuhr fort: “Jeden Tag. Er ist wie gefangen. Er kann uns nicht sagen, was er will.” Sie atmete durch. “Aber
ich
weiß, was er will. Er spricht zu mir mit seinen Augen. Sie rufen mir zu:
Bring mich nach Hause!”
    “Dann solltest du genau das tun.”
    Ihr Gesichtsausdruck wurde sorgenvoll. “Ich wünschte, es wäre so einfach. Ist es aber nicht. Ich weiß, dass es finanziell gesehen überhaupt keinen Sinn macht, Preston nach Hause zu holen. – Aber es geht schließlich um seine Genesung und nicht um Geld, oder?”, fragte sie. “Er wird nur gesund, wenn sein Wille und seine Einstellung mitspielen. Und ich versichere dir, Prestons Wille und Einstellung sind untrennbar verbunden mit Sweetgrass.” Sie sah zu ihm auf, mit inständigem Flehen im Blick. “Ich

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