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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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gegangen, häufig mit gesenktem Kopf wie im Gebet. Morgan dachte an einen Tag zurück, als er und sein älterer Bruder Hamlin mit ihm zusammen diesen Weg zurückgelegt hatten. Preston war in einer für ihn seltenen mitteilsamen Stimmung gewesen und hatte seinen Söhnen mit bedeutungsvoller Stimme erklärt, dass er sich dem Schöpfer, wenn er durch diese Stückchen Natur schritt, so viel näher fühlte als in einem Gotteshaus, das von Menschen errichtet worden war.
    Seine Mutter dagegen ging regelmäßig in die Kirche, um zu beten. Die Blakelys waren schon immer aufrechte Mitglieder der Episkopalgemeinde Christ Church gewesen, und seine Mutter bildete da keine Ausnahme. Als er klein war, hatte sie ihn beim Gottesdienst manchmal auf ihren Schoß genommen und ihm die Namen all der Geistlichen aufgezählt, die den Stammbaum der Familie Blakely zierten. Oder sie hatte erzählt, wie sie, so wie schon viele Generationen von Blakely-Frauen vor ihr, feine Tücher bestickt hatte, die den Altar der Kirche zierten. Er erinnerte sich, wie er sich in ihren Armen allmählich entspannt hatte, umhüllt von ihrem Duft nach Gardenien, und wie sich durch die drückende Hitze ein glänzender Streifen Schweiß auf seiner Stirn gebildet hatte, während um ihn herum die Gläubigen mit leiernder Stimme ihre Gebete murmelten.
    Morgan sehnte sich plötzlich nach den verlorenen Jahren zurück. Jede einzelne Eiche, an der er vorbeiging, erschien ihm wie einer seiner Vorfahren – aufrecht und stumm über ihn, den letzten verbliebenen Erben der Blakelys urteilend, der den alten Pfad entlangschlich, mit leeren Taschen und voll von unerfüllten Träumen.
    Unwürdig
, schienen die raschelnden Blätter zu raunen.
    “Ihr seid doch alle längst tot!”, schrie er und schluckte. Schuldgefühle überkamen ihn, als plötzlich die Erinnerung an seinen Bruder zurückkehrte.
    Morgan führte die Flasche zum Mund und trank gierig. Warum quälte er sich mit Gedanken, die er jahrelang von sich weggeschoben hatte? Wenn man zu seiner Familie zurückkehrte, konnte man wirklich das Gefühl bekommen, wieder ein Kind zu sein. Er hatte nicht die geringste Absicht, wieder die Rolle des rebellischen Sohnes zu spielen. Zumindest wollte er glauben, dass er über diesen Punkt in seinem Leben längst hinaus war.
    Vor sich konnte er das weiche Licht, das durch die Sprossenfenstern seines Elternhauses fiel, erkennen. Als er die Treppe zur Veranda erreichte, blieb Blackjack stehen, schwanzwedelnd und mit erwartungsvollem Blick.
    “Du bist auch eine verlorene Seele, was, alter Junge? Ein alter herrenloser Köter, so wie ich”, murmelte er und beugte sich hinunter, um das dicke Fell des Labradors zu kraulen. “Jetzt musst du nicht mehr so tun, als würdest du in deine Hütte gehen, oder? Mama June kennt deine Tricks ganz genau. Aber ich sag dir was. Sie wird dich nicht von der Veranda jagen. Das wird dir niemand antun. Also los, komm.” Er winkte den Hund zum Haus und geriet ein bisschen ins Wanken. Der Alkohol tat seine Wirkung.
    Blackjack wedelte mit dem Schwanz und lief freudig los. Morgan nahm die Stufen etwas vorsichtiger. Oben auf der Veranda stupste Blackjack mit der Schnauze auffordernd an Morgans Hand. Bereitwillig tätschelte Morgan, den breiten Kopf des Hundes. Irgendwie beruhigte es auch Morgan und er machte weiter, bis Blackjack schließlich zufrieden war und zu dem Sitzkissen trottete, das er längst als seines ansah. Schwerfällig kletterte der alte Hund auf die Bank und ließ sich mit einem tiefen Grunzen darauf nieder, erschöpft von dem langen Spaziergang.
    Morgan beobachtete, wie sich das Tier zusammenrollte, und wünschte, er würde in dieser Nacht ebenso leicht Ruhe finden können. Er war immer noch ganz steif vom langen Sitzen auf dem harten Krankenhausstuhl, und als er seine Schultern bewegte, spürte er, dass er in der Nacht Schmerzen haben würde. Doch trotz der Müdigkeit und des Bourbons in seinen Adern arbeitete sein Kopf immer noch. Er war rastlos und konnte einfach noch nicht hineingehen, und so nahm er einen letzten Schluck aus der Flasche, lehnte sich gegen eine der acht Säulen der Veranda und zündete sich eine Zigarette an.
    Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?, fragte er sich. Er war über zehn Jahre nicht in Sweetgrass gewesen, aber selbst in der Dunkelheit kannte er das Land wie seine Westentasche. Sein Blick wanderte hinaus, wo er in der Finsternis der hereinbrechenden Nacht mühelos die Grenze des Familienbesitzes vor den dunklen

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