Sweetgrass - das Herz der Erde
Mann und spießte ein Stück Fleisch auf seine Gabel.
“Na, das war aber nicht nett.” Nan wurde rot, als ihre Söhne prustend in Lachen ausbrachen. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und hatte das Gefühl, als hätte sich zwischen den beiden Seiten des Tisches eine Kluft aufgetan, die sie trennte. Ihre Augen wurden schmal, als sie ihren Mann ansah. Witze hin oder her, seinerzeit war Hank durchaus begeistert gewesen, in den legendären Blakely-Clan einzuheiraten.
Andererseits konnte sie ihm den Sinneswandel kaum vorwerfen. Die Gleichgültigkeit ihres Daddys ihm gegenüber war ausgesprochen beschämend gewesen.
Sie sah auf ihre schmalen gebräunten Hände. Unter dem dicken Ehering aus Gold mit einem Diamanten war die Haut ganz weiß, als hätte sie ein Feuerzeichen am linken Ringfinger. Sie war Nan Leland. Seit achtzehn Jahren waren Hank und die Jungen der Mittelpunkt ihres Lebens. Sollte eine Frau und Mutter nicht das Herzstück des Zuhauses sein? Aber inzwischen waren die Jungen auf dem Sprung in die Welt, und ihr Mann schien sich immer weiter von ihr zu entfernen. Ihr Vater war dem Tod nah, und ihre Mutter war ganz allein in dem leeren Haus … Sie seufzte leise und erschöpft. Doch ein Gedanke zauberte ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht.
Morgan war wieder zu Hause.
Ihre Gedanken wanderten zu der langen, einladenden Eichenallee und hinauf nach Sweetgrass. Die Jungen lachten miteinander, doch Nan lauschte nach der Stimme des kleinen Mädchens in ihr, das noch immer da war und trotzig flüsterte: “Aber ich bleibe auch immer eine Blakely.”
Auf der anderen Seite des aufgewühlten Ashley River in Charleston knetete Morgan nervös seine Hände, während er im Aufzug stand. Sekunden später öffneten sich mit einem leisen Gong die Metalltüren des Lifts, und er sah auf die hellgrünen Wände im dritten Stock des städtischen Krankenhauses. Er hielt den Atem an und riss sich innerlich zusammen, als er den gelben Pfeilen auf den polierten Böden folgte, die ihn zur Reha-Abteilung führten. Er sah einen älteren Patienten mit teigigem Gesicht, der in der dünnen entwürdigenden Krankenhauskleidung mit Mühe an ihm vorbeihumpelte, festgeklammert an eine Gehhilfe aus Stahl und an beiden Seiten von Verwandten gestützt, die ihm aufmunternd zuredeten.
Die Schwester am Empfang begrüßte ihn mit einem abwartenden Lächeln.
“Ich möchte zu Preston Blakely. Ich bin sein Sohn”, fügt er noch hinzu. “Morgan Blakely.”
“Ihr Vater hat das Zimmer 321”, sagte sie nach einem kurzen Blick in ihre Unterlagen. Ihre Stimme schien ein bisschen zu laut für diesen gedämpften Krankenhauskorridor zu sein. “Er ist von der Therapie zurück und ruht sich gerade aus.”
“Komme ich ungelegen?”
“Aber nein. Er wird sich freuen, wenn er Gesellschaft bekommt, auch wenn es nicht so aussieht.” Ihr strenges Gesicht zeigte auf einmal echte Anteilnahme. “Sie sind zum ersten Mal hier, oder?” Als er nickte, beugte sie sich vor und sagte einfühlsam: “Sie wissen, dass er nicht sprechen kann? Und sich auch nicht richtig bewegen?”
“Ja.”
“Ich wollte nur sichergehen. Damit Sie keinen Schreck bekommen. Es ist nicht leicht, wenn man einen nahen Verwandten zum ersten Mal in diesem Zustand sieht.” Ihr Blick wirkte noch immer unschlüssig, aber sie winkte ihn vorbei. “Sagen Sie bitte einfach Bescheid, wenn Sie für irgendetwas meine Hilfe brauchen.”
Er knetete wieder seine Hände und schluckte mühsam. Seine Beine verrichteten ganz automatisch ihren Dienst, während er nach der Nummer 321 Ausschau hielt. Als er vor der Tür angekommen war, blieb er vor dem stillen schwach erleuchteten Zimmer kurz stehen.
Morgan hatte seinen Vater selten im Bett gesehen. Preston Blakely war immer stolz darauf gewesen, vor dem Morgengrauen auf den Beinen zu sein. Er gehörte zu den Männern, die dem Tag am liebsten aufrecht entgegenkamen. Morgan kannte seinen Vater eigentlich nur fest auf beiden Beinen stehend, immer unerschütterlich und stark. Ihn jetzt auf dem dünnen armseligen Krankenhausbett liegen zu sehen, war geradezu unnatürlich, als würde man in der Prärie einen reglosen Büffel finden. Als er zum ersten Mal in seinem Leben ein solches Monstrum von Tier leblos in der Prärie hatte liegen sehen, hatte es ihn bis ins Mark erschüttert. Jetzt fühlte er sich genauso hilflos und war unsicher, was als Nächstes kam oder was er tun sollte.
Es war kein Mut, der ihn schließlich dazu brachte, den dunklen sterilen
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