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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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legte eine Hand auf ihr Herz, und als sie wieder normal atmete, versuchte sie, sich zu vergegenwärtigen, was sie gerade gesehen hatte. Es war so plötzlich geschehen, dass sie sich nicht sicher war, ob es ein Traum oder Realität gewesen war. Vielleicht waren es auch nur Schattenspiele der Blitze am Vorhang gewesen.
    “Du dumme Gans”, murmelte sie, ließ sich wieder ins Bett sinken und machte das Licht aus. “Du hast dir was eingebildet.”
    Der Sturm zog rasch weiter zum Meer, und schon bald ging nur noch ein sanfter Regen aufs Dach nieder. Mama June spürte, wie ihre Lider schwer wurden und eine bleierne Müdigkeit ihre Glieder ergriff. Sie legte den Kopf zurück aufs Kissen, zog die Bettdecke bis ans Kinn und sagte sich zum tausendsten Mal, dass an so einem bewegenden Tag die Fantasie nur zu leichtes Spiel mit ihr hatte.
    Und doch … Eine beharrliche Stimme in ihrem Inneren sagte ihr, dass sie sich ganz und gar nichts eingebildet hatte. Sie wusste genau, was sie im Nebel gesehen hatte, oder besser: wen.
    Es war der Geist der ersten Herrin von Sweetgrass, Beatrice.
    Und sie hatte gelächelt.

4. KAPITEL
    “D as Handwerk der Korbmacherei haben Sklaven mitgebracht, die vor mehr als 300 Jahren aus Westafrika nach South Carolina kamen. Seit Generationen wird das Handwerk von der Mutter zur Tochter und von der Tochter zur Enkelin weitergegeben.”
    (Vera M. Manigault, Korbmacherin)
    Mama June umklammerte fest das Lenkrad ihrer 95er Oldsmobile-Limousine, lehnte sich vor und versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, der vorbeirauschte. Das Herz in ihrer Brust schlug ihr bis zum Hals.
    Die Privatstraße nach Sweetgrass führte direkt auf den Highway Nummer 17. Als Sweetgrass zu Kolonialzeiten noch eine Plantage gewesen war, hieß diese Straße Kings Highway und war eine wichtige Verkehrsverbindung für die Pflanzer. Im 20. Jahrhundert wandelte sie sich zu einem verschlafenen Highway für Reisende zwischen Charleston und Myrtle Beach. Doch seit immer mehr Häuser und Einkaufszentren gebaut wurden und der Tourismus florierte, war auch hier der Verkehr dichter geworden.
    Mama June war alles andere als eine passionierte Autofahrerin, und sie musste die Augen offen halten, wenn sie beim Abbiegen aus ihrer eigenen Straße nicht über den Haufen gefahren werden wollte.
    Sie nutzte eine Lücke im fließenden Verkehr und brachte ihre große klappernde Limousine auf den Highway, was ihr das wütende Hupen eines schnellen Autos einbrachte, das nach links ausweichen musste. Als der Wagen sie überholte, gestikulierte der Fahrer wild und mit hochrotem Gesicht. Mama June schenkte ihm ein freundliches Lächeln und winkte zurück.
    Wahrscheinlich ein Tourist, dachte sie, und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Ihre Vermutung bestätigte sich, als sie an dem vorbeirauschenden Auto ein ortsfremdes Nummernschild erkannte. Mama June strich sich übers Haar und war gleichzeitig entrüstet und verunsichert. Niemand aus dieser Gegend ist so unfreundlich zu hupen oder gar lautstark zu schimpfen, dachte sie. Schon gar nicht bei einer älteren Dame.
    “Was ist nur aus dieser Gegend geworden”, murmelte sie und beschleunigte ihren Oldsmobile allmählich bis knapp unter die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Sie wollte nicht zu schnell fahren, um den Stand nicht zu verpassen, der gleich am Straßenrand auftauchen würde.
    Die wackligen Holzstände links und rechts der vierspurigen Autobahn gab es schon, solange sie denken konnte. Von Mount Pleasant bis nach Georgetown konnte man afroamerikanische Frauen im Schatten ihrer Korbstände sitzen sehen. Sie waren dabei, aus dem einheimischen Sweetgrass Körbe zu flechten, während sie geduldig darauf warteten, dass irgendein vorbeifahrender Einheimischer oder Tourist anhielt und einen ihrer handgearbeiteten Körbe kaufte.
    Bei schlechtem Wetter waren die Stände verlassen und leer. Bei gutem Wetter aber baumelten Dutzende blassgelber und brauner Körbe an den Holzlatten, manche für die Feiertage mit glänzend roten Bändern versehen, andere mit Papierpreisschildern, die im Wind flatterten. Man konnte alle möglichen Arten von Körben kaufen: mit und ohne Griff, mit und ohne Deckel, flache große oder kleine bauchige. Mama June bremste ab und hielt Ausschau nach einem bestimmten Stand.
    Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie eines Tages vor langer Zeit mit ihrer Mutter auf dieser Straße nach Myrtle Beach gefahren war. Es war ihr achter Geburtstag gewesen, und ihre Mutter hatte

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