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Sweetgrass - das Herz der Erde

Sweetgrass - das Herz der Erde

Titel: Sweetgrass - das Herz der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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befestigte. “Irgendwann mal habe ich die Büchse in der Sonne stehen lassen. Aber wirklich nur das eine Mal.”
    Adele hatte ihr erzählt, dass Preston ein erstklassiger Angler war, wovon sich Mary June im Laufe jenes Tages selbst überzeugen konnte. Seine Bewegungen waren schnell und geschmeidig, wenn er die Angel auswarf und dabei Seil gab. Ruhig und souverän arbeitete er mit dem Netz, und ein Beweis für sein Geschick waren die Fische, die sich in der Kühlung stapelten. Mary June wünschte sich so sehr, selbst einen Fisch zu fangen – nicht, um es mit ihm aufzunehmen, sondern um wieder seinen bewundernden Blick zu ernten. Aber heute schien sie nichts als winzige Fischchen an die Angel zu bekommen, so klein, dass sie wieder zurück ins Wasser geworfen werden mussten.
    Besonders beeindruckt war sie, weil er nicht nur die zu kleinen Fische freiließ, sondern auch die, die sie nicht essen würden. Er legte einen Arm um Mary June und brachte ihr bei, wie man den Fisch, den man vom Haken gelöst hatte, vorsichtig am Schwanz im Wasser festhielt und erst in die Freiheit entließ, wenn er sich beruhigt hatte und wieder normal durch die Kiemen atmen konnte. Mary June spürte Prestons warmen Atem auf ihrer Wange und seine Hände auf den ihren. Als der Fisch nicht mehr nach Luft schnappte, flüsterte Preston ganz nah an ihrem Ohr: “Jetzt lass ihn los.” Sie ließ los, und Preston beförderte den Fisch mit einer sanften Handbewegung zurück in die Freiheit.
    Einen kleinen Fisch ins Wasser zurückzulassen, verschaffte Mary June mehr Befriedigung, als einen zu fangen. Mit geröteten Wangen sah sie Preston an. Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt, und er lächelte sie an. In diesem Moment wusste sie, dass in ihren Augen dieser Ausdruck der Bewunderung stand, den sie zuvor in seinen gesucht hatte.
    * * *
    So viele Jahre waren seit jenem Tag vergangen. Als sie nun an seinem Bett saß, überlegte Mama June, ob es noch andere Momente in ihrem Leben gab, die sie so genau vor Augen hatte wie diesen Augenblick in dem Boot. Mit einem Mal verspürte sie wieder dieselbe mädchenhafte Aufregung wie an jenem Tag, und als sie ihren Mann ansah, wusste sie, dass er genau denselben Erinnerungen nachhing. Sie hatten noch viele Vormittage beim gemeinsamen Angeln verbracht, nur sie beide. Und auch wenn es ihnen nicht klar gewesen war, so waren diese frühen Morgenstunden, wenn die Sonne allmählich aufging und die Fische anbissen, in gewisser Weise ein wichtiger Bestandteil ihrer Beziehung.
    “Du warst nie ein großer Redner”, sagte Mama June und streichelte Prestons Hand. “Da gerät dein Sohn ganz nach dir. Für ein Wort von dir musste ich mich mindestens so sehr anstrengen wie für einen Barsch oder eine Brasse. Du musst mich für eine richtige Plaudertasche gehalten haben, so wie ich geschwatzt habe. Genau wie jetzt gerade.” Sie lachte ein bisschen.
    “Aber du hast mir immer zugehört. Und du hast an den richtigen Stellen gelacht. Und oft hast du das eine oder andere kommentiert – um mir ein Stichwort zu liefern, nehme ich an.” Sie schwieg nachdenklich.
    “Weißt du, was mir eben einfiel? Irgendwie ist es ein bisschen so wie damals in diesem Boot, findest du nicht auch?”
    Ein paar Minuten saß sie ganz still da und ließ all die Erinnerungen an die ersten Wochen dieses schicksalhaften Sommers noch einmal auf sich einwirken.
    “Und noch eine Sache fällt mir ein”, sagte sie leise. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. “Ich erinnere mich an das, was ich dir an dem Abend, als du krank geworden bist, gesagt habe. Ich sagte, dass ich Sweetgrass vom ersten Moment an gehasst habe.”
    Sie sah ihn an, und seine Augen waren auf sie gerichtet.
    “Das ist nicht wahr, Preston. Ich habe es sofort geliebt. Sweetgrass hat mich schon vom ersten Augenblick an willkommen geheißen.”
    Unvermittelt ergriff Preston ihre Hand, drückte sie und hielt sie fest an seine Brust gepresst.
    Diese plötzliche tiefe Geste der Leidenschaft überraschte Mama June, und ihr Herz machte einen Sprung.
    “Oje, gleich muss ich anfangen zu weinen”, murmelte sie. Sie spürte seine Finger, die zärtlich ihre Hand tätschelten. Sie lehnte sich enger an ihn und fühlte die geheime Verbindung zwischen ihnen, die die gemeinsame Erinnerung schuf. Wie sie da in der Dunkelheit beieinander waren und sich an den Händen hielten, schien es ihr, als wären sie alterslos.
    Später in ihrem Zimmer zog Mama June sich aus, löste

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