Sweetgrass - das Herz der Erde
aufwachte, trat Adele nach Prestons Hand und umklammerte jammernd ihr Kissen.
“Ich hasse es, früh aufzustehen, und ich hasse Angeln”, murrte sie und zog sich die Bettdecke über den Kopf.
“Na komm, Adele, los”, flüsterte Mary June dicht an Adeles Ohr. “Du hast gesagt, du wolltest mitkommen.”
“Geht einfach ohne mich.”
Prestons leises Lachen erfüllte das dämmrige Zimmer. “Lass es, Mary June. Das hat keinen Sinn. In dieser Laune ist sie zu nichts zu bewegen.” Und an seine Schwester gewandt gab er zurück: “Du kannst den Fisch putzen, den wir fangen.” Damit wandte er sich zum Gehen.
Unter ihrer Decke grummelte Adele nur, drehte sich um und schlief weiter.
Als Mary June hinter Preston her die Treppe hinunterschlich, spürte sie Schmetterlinge in ihrem Bauch. Einen ganzen Vormittag würde sie mit ihm allein verbringen! Sie legten in der Küche eine kleine Pause ein und tranken etwas kalte Milch und aßen von Nonas Keksen. Dann packten sie ein paar Äpfel und Schokoriegel für später ein. Die Tür quietschte, als Preston sie aufzog. Mr. Blakelys Wachhunde hoben schläfrig die Köpfe, um zu sehen, was sich da tat.
Mary June machte ein paar Schritte in die Morgendämmerung, blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken. Sie atmete tief ein und genoss die morgendliche Kühle auf ihrer Haut. Ihre Müdigkeit verflog. Die ersten Sonnenstrahlen, die die dunklen Wolken durchbrachen, bedeuteten ihr mehr als jeder Kirchgang. Als sie den Blick wieder senkte, bemerkte sie Preston, der sie neugierig musterte.
“Ich … ich mag es, draußen zu sein, wenn die Sonne aufgeht”, erklärte sie und spürte, wie sie rot wurde. Verlegen starrte sie auf den Boden.
“Das geht mir genauso”, antwortete er ernsthaft. “Es ist die schönste Zeit des Tages.”
Als Mary June den Kopf hob und in seine leuchtend blauen Augen sah, erkannte sie, dass es zwischen ihnen ein stilles Einverständnis gab.
Er grinste schief. “Dann mal los, du Frühaufsteher. Sonst verpassen wir noch die Flut.”
Sie liefen durch das Gras, das noch feucht vom Tau war, und erreichten schließlich den langen Holzsteg, gerade als die heller werdenden Farben des erwachenden Tages das dunkle Wasser durchsichtig machten. Sumpfhühner gackerten aufgeregt, als sie ihre Angelruten und das Zubehör mit einem dumpfen Geräusch ins Boot fallen ließen, was die morgendliche Stille jäh durchbrach.
Preston kletterte zuerst ins Boot und reichte Mary June seine Hand.
Der kleine Motor tuckerte, als sie Kurs auf eine von Prestons Lieblings-Angelstellen nahmen. Er wollte ihr nicht sagen, wo genau sie hinfuhren, und es war ihr eigentlich auch egal. Sie ließ ihre Hand ins Wasser hängen und Wassertropfen ihr Gesicht benetzen, während sie beobachtete, wie überall in den Sümpfen mit der aufgehenden Sonne die Vögel erwachten. Nach einer Weile drosselte er die Fahrt und suchte mit den Augen die Uferlinie ab.
“Sind wir schon da?”, fragte sie scherzhaft.
“Könnte sein.”
“Was suchst du denn?”
“Ich versuche, das Wasser zu lesen”, antwortete er. “Man muss sich bemühen, wie ein Fisch zu denken. Sie verstecken sich gern, und ihre Augen sind ausgesprochen lichtempfindlich. Also halte ich nach einem felsigen Punkt Ausschau oder einem Platz im Schatten.” Er deutete auf eine Stelle, wo entlang dem Ufer große Eichen standen, die ihren Schatten auf das Wasser warfen. “Die Stelle da sieht mir ganz gut aus. Siehst du die Ringe auf dem Wasser?”, fragte er und hielt darauf zu. “Da kommen die Fische an die Oberfläche. Genau da haben sie sich versteckt.”
In der Nähe des Ufers brachte er das Boot zum Halten und vertäute es. Er machte ihr eine Angel fertig, spulte die Schnur auf und wollte gerade den Köder festmachen, als sie protestierte.
“Das kann ich selbst, danke.”
“Wo hast du Angeln gelernt?”, fragte er neugierig und sah ihr zu, wie sie geschickt den Köder befestigte.
Sie zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern, während sie mit der Angelrute hantierte – doch innerlich juchzte sie vor Freude, denn er bewunderte sie.
“Rund um die Farm meiner Familie in Sumter gibt es jede Menge Teiche, Flüsse, Sümpfe und Seen. Ich habe schon gelernt, nach Würmern zu graben, als ich noch gar nicht sprechen konnte. Mein Daddy brauchte immer jede Menge davon. Er gab mir eine Büchse mit ein bisschen Erde und Wasser, und die musste ich dann bis oben hin vollmachen.” Sie lachte leise, als sie das Gewicht an der Angel
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