Sydney Bridge Upside Down
ich kannte ja alles. Ich starrte auf die kleine Gruppe an den Gleisen und beobachtete, wie Dibs (hätte ich ihm nur den Schubs gegeben!) quer durch die Büsche lief, um in ihrer Nähe zu sein, in der Nähe meiner Cousine, und wie er sich jetzt noch mehr beeilte, weil Caroline und Cal schon in die Lore gestiegen waren und sich Sydney Bridge Upside Down in Bewegung setzte. Sam Phelps saß vorn auf seiner Bank und hielt die Zügel locker in der Hand, er nahm Caroline und Cal mit zum Hafen. Was für ein mieser Trick! Cal hätte mir Bescheid sagen können, er wusste, dass ich gern mitgekommen wäre. Caroline dachte vielleicht, dass ich mir nichts daraus machte, aber Cal hätte es wissen müssen, er hätte mich rufen können. Der Kleine hat mich ausgetrickst, dachte ich, und welches Recht hatte denn nun Dibs, auf die Lore aufzuspringen und mit meiner Cousine zum Hafen zu fahren? Wenn ich daran dachte, wie oft ich seinen großen Bruder gebeten hatte, mich auf der Indian mitzunehmen, und wie oft er mir das schon verweigert hatte, fand ich es ausgesprochen frech von Dibs, dass er sich diese Fahrt mit meiner Cousine erschlich. Und während Sydney Bridge Upside Down dort unten vor sich hin trottete, blieb ich oben auf meinem Schlachthausdach und sah ihnen wütend nach, bis sie an die Kurve kamen und vom Kliff geschluckt wurden. Erst kurz vor dem Hafen würden sie wieder auftauchen. Aber es dauerte länger, als ich gedacht hatte, und ich fragte mich, ob Sydney Bridge Upside Down eine Pause eingelegt hatte, er war so alt und klapprig. Und als sie nach einer Weile immer noch nicht am Hafen zum Vorschein kamen, überlegte ich, ob sie vielleicht entgleist, ob Caroline aus der Karre herausgestürzt war. Vielleicht bräuchte sie Hilfe. Doch als ich schon die ersten Schritte in Richtung Treppe gemacht hatte, fiel mir ein, dass eine Karre bei dem Tempo, das Sydney Bridge Upside Down schaffte, unmöglich entgleisen konnte. Was machten sie denn dann? Wo waren sie nur? Ich wartete und hielt Ausschau. Nichts. Nichts zu machen, ich musste runter. Ich ließ mir Zeit dabei und stampfte so fest auf die schmalen Stufen, dass sie abzubrechen drohten. Klar ist das gefährlich, dachte ich, aber es geschieht ihr nur recht, wenn ich abstürze. Dann finden sie meine Leiche, und sie wird »Armer Harry« sagen und mir einen letzten Kuss geben. Cal und Dibs wären auch traurig, aber nicht lang. Sie würden bald wieder ihren Spaß haben, wahrscheinlich wären sie darüber glücklich, dass sie mich losgeworden waren. Ihnen wäre es ziemlich egal, wenn ich abstürzen würde. Aber ich bin ja nicht abgestürzt, natürlich nicht, ich bin auch nicht ein einziges Mal abgerutscht. Als ich unten im Hof stand, dachte ich kurz daran, nach Hause zu gehen, den anderen einfach ihren Spaß zu lassen. Dann dachte ich, ich gehe nur mal kurz zu den Gleisen, um einen Blick auf die Strecke zu werfen. Aber nicht, um ihnen hinterherzulaufen, ich hatte nicht die Absicht, ihnen zu folgen. Wenn sie gewollt hätten, dass ich mitkomme, hätten sie mich ja rufen können. Ich ging also zu den Gleisen. Kaum war ich angekommen, sah ich Dibs und Cal, die über die Gleise auf mich zugelaufen kamen, was eine ganze Weile dauerte. Ich rührte mich nicht. »Wo ist Caroline?«, fragte ich, als sie in Hörweite waren. »Sie schaut sich sein Haus an«, sagte Cal angekratzt. »Welches Haus denn?«, fragte ich, dabei wusste ich genau, wo Sam Phelps wohnte. Er hatte eine Hütte auf einer Lichtung ganz in der Nähe des Hafens, nicht weit von dem Wollschuppen entfernt, ein Haus war das bestimmt nicht. »Er zeigt ihr seine Hütte«, sagte Dibs. »Was gibt es denn da zu sehen?«, sagte ich. »Die Hütte interessiert doch keinen.«
»Dachten wir auch«, sagte Dibs. Und sie erzählten, es sei Carolines Idee gewesen, deshalb seien sie zurückgelaufen. Sie wollte Sam Phelps Einladung annehmen und fand, dass es für Cal und Dibs zu langweilig sei. Es sei doch viel besser, wenn sie mich fänden und mit mir spielten. »Alles Dibs’ Schuld«, sagte Cal, »mich allein hätte sie bestimmt mitgenommen.«
»Pass mal auf, Junge«, sagte ich zu Dibs, »du nimmst dir ganz schön was raus, dass du ihr so hinterherläufst. Sie ist schließlich unsere Cousine.«
»Ich bin ihr doch gar nicht hinterhergelaufen, ich wollte nur mitfahren«, sagte Dibs.
»Hast du keine eigene Cousine?«, sagte ich und holte aus. Er duckte sich weg, meine Faust ging ins Leere, er rannte davon. Ich hatte keine Lust, ihm hinterherzujagen.
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