Sydney Bridge Upside Down
saßen schon alle im Reo, als Mrs Kelly auf die Idee kam, Sam Phelps mit nach Bonnie Brae zu nehmen. Ein Mann, der so einsam lebte, müsste doch eine Freude daran haben, meinte sie, und es schien, als würden die dunkelroten Adern auf ihren alten Wangen jeden Augenblick platzen. Dibs grunzte, und ich tat es ihm nach, aber Mrs Kelly ließ sich nicht von ihrer Idee abbringen, im Gegenteil. Sie stand auf – sie hatte zwei Bänke auf die Ladefläche gestellt und sich selbst den Platz neben Caroline gesichert – und quetschte sich zwischen uns durch. Sie beugte sich auf der Fahrerseite zu Mr Kelly, der schon am Steuer saß. Mr Kelly fand, sie sei wohl übergeschnappt.
»Es muss Jahre her sein, seit Sam zum letzten Mal in Bonnie Brae gewesen ist«, sagte sie. »Wäre es nicht wunderbar, wenn er noch einmal mitkommen könnte?«
»Krieg dich mal wieder ein«, sagte Mr Kelly. »Sollen wir seinen Gaul vielleicht auch noch mitnehmen? Es soll ja das ein oder andere Galopprennen geben. Was meinst du, Frank? Sollen wir ein paar Pfund auf Sydney Bridge Upside Down setzen?« Papa und Mr Kelly lachten sich halb tot.
»Du hast hoffentlich nicht vergessen, wie es Mrs Prosser ergangen ist«, sagte Mrs Kelly zu ihrem Mann. »Niemand hat sich um sie gekümmert, sie war ganz allein in ihrem Haus, sie hat sich überhaupt nicht mehr blicken lassen. Und so ist es ihr dann ergangen!«
Eine Zeitlang war es vorne still. Dann stieg Mr Kelly aus, kam nach hinten und legte die Hand auf die Ladeklappe. Er betrachtete die Straße, die zum Hafen hinunterführte.
Mrs Kelly kam nun auch zurück.
»Mama, wir kommen zu spät«, sagte Dibs.
»Wofür zu spät?«, fragte sie. Als wäre in Bonnie Brae keine Kirmes und wir säßen alle nur zum Vergnügen im Reo.
Papa stieg auch aus. Er stellte sich zu Mr Kelly, gemeinsam hielten sie Ausschau.
»Was meinst du, Frank?«, sagte Mr Kelly. Papa sah ihn von der Seite an. »Er hat bestimmt keine Lust mitzukommen«, antwortete er. »Er hat gestern erst erzählt, dass es Sydney Bridge Upside Down nicht so gutgeht. Da wird er ihn bestimmt nicht den ganzen Tag alleinlassen. Du weißt ja, was ihm das Pferd bedeutet.«
»Na also«, sagte Mr Kelly und sah seine Frau an. »Wollen wir Sam vor der Einsamkeit bewahren? Oder wollen wir ihn in Ruhe lassen, damit sein Pferd vor der Einsamkeit bewahrt wird? Was ist denn nun die bessere Lösung? Was sollen wir nur tun?«
»Da mach dir mal keine Gedanken«, sagte sie und sah Papa an. Sie schien nicht zu glauben, was er erzählt hatte.
Papa hielt ihrem Blick stand. Die Männer stiegen wieder ein.
»Wenn wir ihn nur früh genug gefragt hätten, wäre er bestimmt mitgekommen«, sagte Mrs Kelly zu Caroline, als sich der Wagen in Bewegung setzte.
»Nicht, wenn sein Pferd krank ist«, sagte Dibs. »Da hat Mr Baird schon recht.«
»Ich rede mit Caroline«, sagte Mrs Kelly. Und an Caroline gewandt: »Mr Phelps hat ja nicht mehr viel, woran er sich freuen kann, es wird erzählt, dass er früher gern gelesen hat. Mein Mann sagt, dass er Bücher nicht mehr anrührt. Er interessiert sich praktisch nur noch für sein Pferd.«
Caroline nickte. »Ein liebes altes Pferd.«
»Es musste vor ein paar Tagen ganz schön schleppen«, sagte Dibs. »Die ganzen Kisten für den neuen Lehrer. Er kommt wohl mit einer großen Familie, was?«
»Vielleicht eher mit einer großen Bibliothek«, sagte Mrs Kelly. »Es sind ja immer die Bücher, die so schwer sind und so viel Platz wegnehmen. Ich freue mich darauf, einen gebildeten Mann hier bei uns zu haben. Für einen Lehrer hatte Mr Dalloway erstaunlich wenig gelesen.«
»Hör mal auf, über die Schule zu reden«, flüsterte ich Dibs zu. Montag, der erste Schultag, war schon viel zu nah gerückt, ich hatte einfach keine Lust, darüber nachzudenken. Auf der Kirmes wollte ich mich ablenken, ich hatte mir vorgenommen, mich richtig auszutoben.
Als Mrs Kelly sah, dass ich Dibs ins Ohr flüsterte, sah sie mich mit der bekannten Strenge an, nicht zum ersten Mal in diesen Tagen, weshalb ich sie auch nicht mehr besuchte. Ich hatte beinahe den Eindruck, dass sie mich wegscheuchen würde, wenn ich bei ihr vorbeischaute, um mir ein Pflaumenmusbrot zu holen. Warum sah sie mich nur so an? Sie war doch immer recht freundlich zu mir gewesen und hatte viel interessantere Dinge zu erzählen als Dibs.
Jetzt sagte sie überhaupt nichts, vielleicht weil ich mich bemühte, ihrem Blick auszuweichen. Ich guckte raus und starrte auf die Straße.
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