Symphonie der Herzen
dich hören.«
Im Gegensatz zu den anderen Ballabenden, die Lu in dieser Saison schon erlebt hatte, schien sich der Ball bei Almack’s schier endlos in die Länge zu ziehen. Louisa ahnte bereits, dass dies vielleicht daran lag, dass James Hamilton nicht da war. Gelangweilt ging sie in Gedanken immer wieder die Erlebnisse des Nachmittags durch. Schließlich, gegen vier Uhr am Morgen, kam Charles endlich die Treppe herab, um nach Hause zu fahren. In der Zwischenzeit hatte er sein gesamtes Geld verspielt und schwor, dass dies definitiv das letzte Mal gewesen wäre, dass er einer Einladung von Almack’s gefolgt sei.
Müde ließ Louisa sich in ihr Bett sinken - und konnte doch nicht schlafen. Abercorns Angebot faszinierte sie noch immer. Streng genommen wurde seine Offerte sogar mit jeder weiteren Stunde, die verstrich, verlockender. Genau solch einen Auftritt hatte sie sich doch schon ihr ganzes Leben lang gewünscht! Zumal sie genau wusste, dass sie der Rolle gewachsen sein würde und Kittys Darbietung bestimmt noch übertreffen könnte. Das Einzige, was sie noch davon abhielt, James’ Angebot anzunehmen, war also diese ominöse Gegenleistung, die er verlangte. Was mochte das wohl sein?
Dann aber erinnerte Lu sich: Alle Bühnendarstellerinnen haben Liebhaber, dachte sie verbittert. Männer, die von ihnen sexuelle Gefälligkeiten erwarten.
Übellaunig warf sie sich in ihrem Bett hin und her und boxte in ihr Kissen. Am Ende gibt es doch nur zwei Möglichkeiten, sinnierte sie. Entweder, ich will einmal im Leben dort oben auf der Bühne stehen, oder eben nicht. Und tief im Inneren wusste Lu ganz genau, dass es auf der ganzen Welt nichts gab, was sie sich sehnlicher wünschte. Das ist eine Chance, wie man sie nur einmal im Leben erhält! Also, was zur Hölle hält mich eigentlich noch davon ab, auf Abercorns Angebot einzugehen? Und überhaupt: Wie sieht das denn aus, wenn ich jetzt einfach kneife und die Zimperliche spiele?
Wenige Sekunden später hatte Lu dann endlich ihre Entscheidung getroffen. Und kaum dass dieses Problem gelöst war, schlief sie auch schon selig ein und erwachte erst wieder am frühen Nachmittag.
»Ich denke, ich werde heute mal Tante Charlotte einen Besuch abstatten und ihr sagen, dass Mutter nach Campden Hill gefahren ist, weil Rachel die Windpocken hat. Es wird sie bestimmt interessieren, dass ihre Schwester frühestens in einer Woche wieder in London ist. Hast du Lust, mich zu begleiten, Georgy?«
»Du meinst, ob ich Lust hätte, einen ganzen Nachmittag lang bei denen auf dem Sofa zu hocken und mir von Sophias Hochzeitsplänen vorschwärmen zu lassen? Nein, danke. Da verzichte ich lieber.«
Lu musste sich arg beherrschen, um ihr Lächeln zu verbergen, hatte sie doch bereits damit gerechnet, dass Georgy ihr genau diese Antwort geben würde. Und genau aus diesem Grunde hatte sie sich ja auch entschieden, einen Besuch bei ihrer Tante Charlotte als Ausflugsziel vorzugeben.
Frohgemut spannte sie also ihren roten Sonnenschirm auf und ging zu Fuß hinab zum Grosvenor Crescent. Zuerst führte sie ihr Weg durch den verwunschenen Green Park, dann einmal quer über Piccadilly und schließlich gleich um die Ecke in die Half-Moon Street. Letztere war zwar sehr kurz und hatte nur wenige Anwohner, gleichwohl aber hatte Lu nicht die geringste Ahnung, welches der Häuser wohl Abercorns war. Doch sie ließ sich nicht entmutigen, sondern stieg entschlossen gleich die erste Vordertreppe hinauf und klopfte einmal kräftig an die Tür des ehrwürdigen Stadthauses.
Ein Diener öffnete ihr und schaute Louisa einmal misstrauisch von Kopf bis Fuß an, dann blieb sein Blick für einen Moment an ihrem roten Sonnenschirm haften. Schließlich aber, da sie keine weibliche Begleitung bei sich hatte, entschied er offensichtlich, dass sie wohl keine echte Dame sei, und murmelte ziemlich unhöflich: »Was gibt’s denn, Miss?«
»Wohnt der Marquis von Abercorn hier?«
»Nein, Miss.« Es folgte ein knappes Nicken und der Versuch, die Tür gleich wieder zu verriegeln.
Louisa aber reagierte schnell und schob den Fuß dazwischen. »Wisst Ihr denn, wo Lord Abercorns Haus liegt?«, hakte sie übertrieben höflich nach.
»Kann schon sein, Miss«, erklang die einsilbige Antwort, während der Diener abermals versuchte, die Tür zu schließen.
»Sir! Ich muss doch sehr bitten. Geht man so etwa mit einer Lady um?« Blitzschnell schloss Lu ihren Sonnenschirm und richtete die
Spitze genau auf den mürrischen Lakaien. »Ihr sagt
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